Die Erzähler

Die italienische Literatur ist in erster Linie eine der Erzählung. Seit den Zeiten Boccaccios hat sie die europäische genau damit bereichert: Menschen sitzen in kleinen oder großen Runden und erzählen sich eine Geschichte nach der anderen. Das ist noch heute so, man erlebt es an jedem Tag, zu jeder Stunde, an allen nur erdenklichen Orten. Sergio betritt ein Café, gibt eine Bestellung auf und erzählt sofort (ungefragt und in beträchtlicher Lautstärke), warum er heute nicht mit der Vespa, sondern zu Fuß gekommen ist. Chiara kauft beim Bäcker ein und vergisst die Bestellung, denn zuvor muss sie dringend davon erzählen, wo und wann sich ihre Mutter am frühen Morgen beinahe den Hals gebrochen hätte. Ganz zu schweigen von Caterina, die allein am Strand mindestens zehn Zuhörerinnen mit der Erzählung vom gestrigen Gewitterregen unterhält: Wie die dunklen Wolken von den Bergen her ins flache Land strömten, wie es plötzlich so still wurde, wie die Geister der Berge den Wolken hinterherliefen und sich in ein Theater der Wassermassen verwandelten, dass die kleinen Autos auf den Straßen im Kreisverkehr langsam absoffen und untergingen…