Die Maskenshow

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Alle Welt geht jetzt mit Maske spazieren. Man trägt sie in einer Hand mit sich herum und wedelt Grüße hierhin und dorthin. Kinder haben sie bunt bemalt und ziehen sie über, wenn sie Straßentheater spielen. Ältere Menschen parken sie am Griff des Rollators, und die fesche junge Szene stülpt sie sich in den Nacken, während ein kühler Longdrink im Glas geschüttelt wird.

Die Straßen, Plätze und Bürgersteige haben sich in Bühnen und Laufstege von Szenen mit Showcharakter verwandelt. Es gibt den dramatischen Auftritt des älteren Mannes, der die Maske lüftet und danach deftig ausspuckt, und es gibt den kapriziösen Auftritt des Jungstars, der zu einer blendendweißen Maske ebenso weiße Sneaker aus Kalbsleder trägt. Frauen in eher mittlerem Alter behandeln die Maske robust und packen sie erfahren am Schopf, während verliebt tuende Paare ein Maskenduo spazieren führen, blau und grün, aber dasselbe Modell.

Das Sprechen fällt schwer. Manche versuchen es mit besonderer Lautstärke, röcheln aber bald resigniert und deuten stumm mit dem Finger auf eine Ware. Käufer und Verkäufer spielen genervt Pantomime, und alle taxieren mit scharfen Blicken den Abstand zum Nächsten und zu einem nicht informierten Begleithund, der alle Herumstehenden abschnüffelt, als habe er noch nie von Corona gehört.

Die wilden Kirschen auf dem Wochenmarkt leuchten dämonischer und dunkler denn je, und die Brombeeren öffnen ihr kompliziertes Gehäuse und lassen eine bedenkliche Saftspur austreten. Der Käsekonsum geht zurück, da viele eine Mundmaske nicht gern mit einem aufdringlichen Käseatem durchdringen. Noch schlimmer ist es um den Knoblauch bestellt, er vegetiert bleich vor sich hin. Seine führende Rolle als Allroundgewürz hat er inzwischen an ockerdunkle Ingwerwurzeln abgetreten. Die gesellen sich zu allem und jedem, zu Linsen, Reis, Tee und zeigen eine überwältigende Anpassungsfähigkeit.

Am frühen Abend kippt oft die Stimmung und erste Schreie brechen sich Bahn. Eine Sängerin hat sich auf den Rand eines Brunnens geschwungen. Der Wasserstrahl will sie begleiten, doch sie dominiert ihn gekonnt. Man sieht, wie sie sich ihrer Maske entledigt und, den Kopf im Nacken, einen uralten Song anstimmt: Masken – Ich seh‘ Masken. Schnee auf den Gefühlen. Masken – nichts als Masken. Bild der Einsamkeit… –

Ist das nicht von Udo Jürgens?, fragt mich jemand. – Könnte sein, antworte ich, hört sich jedenfalls so an. – Donnerwetter!, sagt mein Gegenüber, was der nicht alles geahnt hat! – Stimmt, antworte ich, Udo Jürgens war wirklich einer der ganz raren Durchblicker!