Wie geht es dem Momentum?

Dieses Jahr ist auf dem besten Weg, ein ereignisstarkes Fußballjahr zu werden. Die deutschen Vereinsmannschaften beeindrucken in den europäischen Wettbewerben, und die Nationalmannschaft könnte es ihnen während der Europameisterschaft nachtun. Vieles hat sich, wie man so sagt, „zum Besseren gewendet“. Immerhin. Vieles ist aber auch stehengeblieben und ärgert.

Wie etwa die Live-Übertragungen im Fernsehen, denen eine lebendige, originelle Sprache fast abhandengekommen ist. Stattdessen wimmelt es jetzt von scheinbaren Fachbegriffen und Phrasen, die in ihrer Häufigkeit steril, penetrant und lächerlich wirken. Da präsentieren sich Abwehrfronten laufend in wechselnden Dreier- oder Vierer-Formationen, nach dem besten Sechser oder Achter wird panisch gesucht, gegen und mit dem Ball wird laufend „gearbeitet“, das „Umschaltspiel“ hängt durch, denn eine Mannschaft zeigt mal wieder zu wenig „Charakter“ und ist nicht „mit breiter Brust“ unterwegs, sondern auf hartnäckiger Suche „nach dem Momentum“.

Live mögen Reportern schon einmal solche Floskeln unterlaufen. Wenn dieser dürre Slang aber von sogenannten „Experten“ im Nachspann erneut durchgeknetet wird, ist es unerträglich. Da stehen sie zu dritt oder viert als leblose Truppe an der Seitenauslinie und reden, dass es einen erbarmt. Haben sie wirklich genau hingeschaut oder jeden Spielzug bereits als „Ausübung“ eines Angestelltendaseins verstanden, das jedem Spieler etwas „aufgibt“ oder „abnötigt“? In solchen Fällen muss eine Mannschaft anscheinend ein „großes Herz beweisen“ oder gar eine Halbzeit lang „leiden“, während die Fans „Qualen erdulden“ oder „die Treue aufkündigen“.

Kein Wunder, dass erschöpfte Trainer und Spieler solche Plattheiten nach dem Ende einer Partie fast regungslos wiederholen. Der Kopf ist leer, nix geht mehr, das ist gerade noch verständlich, nicht jeder ist schließlich ein Thomas Müller, der bekanntlich schon während des Spiels mit dem „Schalk im Nacken“ kommuniziert.

Schön wäre es, wenn wenigstens die Fans einmal von ihrer großen Leidenschaft erzählen würden, die viele von ihnen Woche für Woche weite Distanzen zurücklegen lässt. „Fußball ist unser Leben“ hieß einmal ein Lied, das die deutsche Nationalmannschaft in den siebziger Jahren unter Leitung von Startenor Franz Beckenbauer auswendig sang. Das war munter, aber auch ernst gedacht und gilt noch immer, trotz Klimawandel. Was es aber genau meint und Menschen abverlangt, die einen Verein ihres Umfelds als Inbegriff ihrer intimsten Identitätsbildung verstehen, das erfährt man nirgends.

Fußball kommt also nur noch als spracharme Liveübertragung oder im ödesten aller Formate, im Liveticker, vor. Als ein Sport, der wie kaum ein anderer viele Menschen verbinden und von Hamburg noch München und zurück locken kann, gibt es ihn nicht. Geschweige denn als ein Leben, das am Wochenende nach einem Spiel beginnt und eine harte, lange Woche dauert, bis die eigene Mannschaft wieder auf einem Platz erscheint.

Nur alle paar Jahre sträuben sich einige Trainer und Spieler gegen die landesübliche Belanglosigkeit des Redens. So etwa Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, der nach vielen Trainerjahren auf seiner Abschiedstournee durch die deutschen Stadien ist. In Köln sprach er am Ende der Pressekonferenz vor ein paar Tagen zu den Fans des FC und zur ganzen Stadt: „Es war jedes Mal ein besonderes Erlebnis in dem Stadion und in dieser Stadt, die ich sehr schätze aufgrund ihrer Vielfalt, aufgrund dessen, dass da einfach die Menschen gut leben können, egal, wie sie orientiert sind oder wie sie sich bewegen. Ich bin wahnsinnig gern hier. Und jetzt ist erstmal das letzte Mal. Es war schön. Ich bedanke mich beim 1. FC Köln…“

Das waren ganz wunderbare Sätze, die wohl nicht nur Einheimische sehr bewegen und zugleich auch anstiften, die ewigen Nörgeleien über Köln einmal für ein Atemholen zu vergessen. Aber auch dazu, sich bei Christian Streich zu bedanken, der das gute Reden über Fußball sein ganzes Trainerleben lang nie verlernt hat.

Aufbruch in den Mai 5

Richard Kämmerlings hat in der Welt von einem der schönsten Mai-Gedichte der deutschen Literatur berichtet und von seiner Entstehung erzählt!

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article251211124/Goethes-Verliebtsein-Fruehling-Gluecksgefuehle-was-der-Dichter-ueber-den-Mai-wusste.html

Mit diesen Lektüren verbunden, wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein sonniges Wochenende!

Aufbruch in den Mai 4

 

Weiter geht es! Wir fotografieren auf unserer Reise die schönsten Mai-Blüten und haben dafür natürlich eine Kamera dabei.

In einem Gespräch mit der Berufsfotografin Elfie Semotan hat der Schriftsteller Ferdinand Schmatz die Techniken und Gebrauchsformen der verschiedenen Kameras untersucht, die sie benutzt: F.S.: Was bedeuten Kameras für dich? – E.S.: Ich kann ja nicht malen. Die Kameras sind für mich einfach die Möglichkeit, das zu tun, was ich gerne tun möchte, nämlich Bilder zu machen. (S. 5)

Es beginnt mit einer Nikon, dann kommt eine Polaroid, danach eine Canon usw. – und immer wieder wird genau nachgefragt: Wann werden sie eingesetzt, welche Bilder machen  sie? Fotografieren ist eine ideale sensorische Ergänzung zum Schreiben, indem es viele Einfälle für Texte liefert.

Christian Streich spricht über Köln

Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, ist momentan auf Abschiedstournee, denn er wird die Mannschaft, deren Trainer er viele Jahre lang war, nach dieser Saison nicht mehr weiter trainieren. So ist jedes Auswärtsspiel das letzte vor Ort.

Am vergangenen Samstag (4.5.) war er mit seiner Mannschaft noch einmal in Köln (Ergebnis: 0:0) und sprach darüber in der Pressekonferenz. Es entstand ein nachdenklich stimmender Text, der Köln so sieht, wie man es in diesen schwierigen Zeiten auch einmal sehen sollte. Als eine offene, liebenswerte Stadt, in der man sich gerne aufhält, bewegt und Freundschaften schließt.

Als Kölner haben mich Streichs gute Worte sehr bewegt, ich bedanke mich!

Eröffnung der 23. Westerwälder Literaturtage 2024

Gestern Abend sind die 23. Westerwälder Literaturtage im Kulturwerk von Wissen/Sieg festlich eröffnet worden. Ich las aus meinem neuen Buch Von nahen Dingen und Menschen Passagen, die sich an das Thema des Kultursommers Rheinland-Pfalz („Sterne des Südens“) anlehnten.

So erfuhr das Publikum von Reisen nach Italien und Aufenthalten in Venedig und Rom aus den letzten markanten Jahren (2018-2023).

Ein besonderer Akzent entstand durch das begleitende Spiel des Gitarristen Thomas Karstens, der eine in Spanien von dem Gitarrenbauer Paulino Bernabé gebaute Gitarre spielte. Die Gitarre spielte in dem literarisch-musikalischen Duo Ortheil-Karstens die Rolle einer Südländerin, denn sie ist, folgt man ihrer Entstehung und Geschichte, in Griechenland (Kithara) entstanden und in Spanien und Italien zur heutigen klassischen Gitarre weiterentwickelt worden.

Aufbruch in den Mai 3

So, wir fahren jetzt weiter, es ist Wochenende, die Stürme und Gewitter haben sich etwas verzogen, die Sonne drängt sich langsam durch Nebel und Staubwolken aus fernen Regionen.

Wir haben das Buch des Fahrradenthusiasten Bernhard Flieher dabei, er erzählt darin seine persönlichen Fahrradgeschichten, erläutert seine Fahrradliebe, würdigt einige Fahrradhelden und endet mit einer kleinen Fahrradphilosophie: Der Blick geht über Wiesen und in den Wald, Felsen ziehen vorbei oder Häuser, Gewerbegebiete oder Maisfelder. Auf dem Fahrrad bleibt, auch wo es kein Ziel gibt, das reine Tun, die bloße Bewegung schön und erfüllend. (S. 45)

Während der Fahrt hören wir Musik, auch sie ist reines Tun, bloße Bewegung, schön und erfüllend. Yuja Wang spielt eine Étude von Philip Glass.

Ein schönes Wochenende wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs.

Paul Auster ist gestorben

Foto Paul Auster: Copyright Spencer Ostrander

Gestern Morgen rief mich ein Freund an und teilte mir mit, dass Paul Auster gestorben ist. Er ist 77 Jahre alt geworden und war vor einigen Jahren an Lungenkrebs erkrankt.

Wir sprachen darüber, was wir von ihm so alles gelesen hatten, an welche Bücher wir uns erinnerten und dann auch darüber, welche Bücher wir bald wieder lesen würden. Unbedingt. Bald. Am besten sofort.

Es war eine seltsame Unterhaltung, denn wir waren beide sehr bedrückt, gaben es aber nicht zu. Wir redeten wie Journalisten, die einen Nachruf schreiben sollten, ohne dass sie viele Informationen für eine so anspruchsvolle Textsorte im Kopf gehabt hätten. „Paul Auster“ erschien wie eine große, dunkle Wolke, die sich über unseren Köpfen gewittergleich hin und her bewegte. Sein Tod hatte etwas Bedrohliches, vielleicht auch deshalb, weil wir beide, mein Freund und ich, älter als siebzig Jahre sind und uns Auster schon vom Alter her nahe fühlten.

Er hatte unser Leben begleitet, wie ein in weiter Ferne lebender, aber guter Bekannter, dessen Leben man laufend verfolgt, während man sich Gedanken darüber macht, wie es ihm gerade geht, was er noch vorhaben könnte und welche Themen er mit einem teilt.

So lebten auch wir ein wenig in Brooklyn/New York, wo Auster zuletzt lange Zeit gelebt hatte. Wir kannten seine Umgebung aus einigen Filmen, an denen er mitgearbeitet hatte (Smoke/Lulu on the Bridge), und wir wussten, wofür er sich mit ziemlicher Leidenschaft begeisterte (Französische Dichtung/ Beckett/ Baseball/ Joe Brainard).

Die persönlichsten Informationen erhielten wir aus seinen Notizbüchern, Journalen, Essays oder aus den Gesprächsbänden ( Das rote Notizbuch/Winter Journal/Ein Leben in Worten/Mit Fremden sprechen). Die Notate schrieb er immer mit der Hand und tippte sie später mit einer alten Olympia-Reiseschreibmaschine aus dem Jahr 1974 ab.

Die tiefersitzende Nähe rührte aber wohl daher, dass wir ihn ein Leben lang für einen jungen Mann hielten, der sich in seinen Büchern „treu“ blieb und Stoffe umkreiste, die zum Teil auch unsere eigenen waren. Wir mussten seine Bücher nicht alle lesen, wir glaubten sie zu kennen oder zu ahnen, was er erzählen wollte. Es war, als wären mit ihm durch einige parapsychologische Tricks verbunden, ja, so fühlte es sich an.

Daran, dass er wirklich sterben würde, hatten wir nicht recht geglaubt. Wir dachten, die Götter und Göttinnen der Schrift würden das nicht zulassen. Vielleicht fürchteten wir auch, früher als er zu sterben, dann hätten wir uns keine weiteren Gedanken machen müssen.

„War wohl nix“, sagte mein Freund am Ende unseres Gesprächs. „Nee“, sagte ich, „das Leben geht noch ein wenig weiter.“

Aufbruch in den Mai – 3

Am kommenden Sonntag, den 5. Mai 2024, werden die 23. Westerwälder Literaturtage in meinem Heimatort Wissen/Sieg (Kulturwerk), 18 Uhr, eröffnet.

Die neue Programmleiterin, die Buchhändlerin Katharina Roßbach, hat ein vielfältiges, abwechslungsreiches Programm zusammengestellt.

Hier alle notwendigen Information – zum Start in den Mai, bevor wir unsere Reise mit dem Rad fortsetzen:

ww-Lit 2024

Aufbruch in den Mai – 2

Aus dem Süden geht es nach Nordosten, wo wir im Deutschen Technikmuseum in Berlin ebenfalls dem Fahrrad als musealem Objekt begegnen, jetzt akzentuiert durch Werbeplakate, auf denen die Freiheit auf zwei Rädern gefeiert wird!

 

Auf den französischen Plakaten der Belle Époque sind vor allem Rad fahrende Frauen zu sehen. Wir erfahren, warum…

 

https://technikmuseum.berlin/ausstellungen/sonderausstellungen/freiheit-auf-zwei-raedern/

 

…und folgen an diesem Wochenende Katharina Kollmann, der Sängerin und Songwriterin, die mit ihrer Band Nichtseattle und dem neuen Album Haus in Berlin unterwegs ist.

Eine schöne Woche wünsche ich allen Leserinnen und Lesern des Blogs!