Klangmomente 1

Sie schlendert aus einem Wäldchen auf eine Lichtung, sie sagt (auf Englisch): Mein Name ist Katja Buniatishvili, ich wurde in Georgien geboren…Sie schlendert ein wenig weiter, und man beobachtet sie dabei und hört nicht mehr auf das, was sie sagt (würde sie doch bloß nichts mehr sagen!). Dann sieht man das kleine Podium, auf dem sie gleich hinter dem schwarzen Steinway Platz nehmen wird. Wir befinden uns weiter in einem Waldstück, es handelt sich um ein Waldkonzert, und ich bilde mir ein, es finde im Vorfrühling statt. Leider gibt es Publikum und Zuhörer, und sie sitzen da wie Konzertbesucher, wobei es sich eindeutig um einen Fehler des Regisseurs handelt. Wie schön wäre dieses Konzert (einer Anregung von Annette Pehnt folgend): ohne Publikum und stattdessen: Tiere und Pflanzen als Zuhörer, Märchenwaldstimmung, Entrücktheit, die Prinzessin, die aus dem Walddunkel tritt und die Lichtung erhellt…Sie trägt ein schwarzes Top und einen Glocken- oder Faltenrock, Kenner halten das für ein Modell von Yves Saint Laurent, mag sein, ich bin leider kein Kenner. Jedenfalls, sagte sie einmal, zeige sie während eines Konzerts gerne  viel Haut, Haut zu zeigen und eine gewisse Nacktheit zu spüren, das sei ihr wichtig. In Ordnung, man sieht jetzt die Nacktheit, dann aber schlägt sie den ersten Akkord an, und alles um Yves Saint Laurent, den Glockenrock und den Top, der die Nacktheit erlaubt, ist sofort verschwunden. Und man hört die Klavierfassung einer Aria aus Bachs Kantate BWV 208, und man lächelt noch über den Vorfrühlingstitel: „Schafe müssen sicher weiden“. Danach erstirbt aber das Lächeln, und man sitzt draußen im stiller werdenden Wald, und es ist so, als wäre man in den Vorräumen eines kleinen Himmels zu Gast: Katja spielt, und Bach schleicht langsam und beglückt durchs Gehölz, lauschend, selig – und weiter und weiter davon…, und schließlich, mit den letzten Klängen, wieder zurück in seine eigenen Sphären…