Der vorläufige WM-Kader

Gestern hat Bundestrainer Joachim Löw die Liste des vorläufigen WM-Kaders von 27 Spielern der deutschen Nationalmannschaft bekannt gegeben. Am 14. Juni beginnt die Fußball-WM mit der Eröffnungspartie des Gastgebers Russlands gegen Saudi-Arabien. Was wird der Zuschauer von dieser WM mitbekommen? Natürlich die Spiele, live, notdürftig kommentiert – und daneben ein paar läppische, blasse „Hintergrundinformationen“. Das eigentliche Innenleben einer solchen WM bleibt jedoch hinter den Kulissen verborgen. Und damit auch die „Geschichten“, die eine solche WM ausmachen und konturieren. Um von ihnen zu erzählen, müsste man aus den Zentren des Kaders berichten, Spieler über längere Strecken beobachten und die Probleme skizzieren, die sich in Russland aufdrängen. Fußball als Sportart wirklich ernsthaft und interessant zu dokumentieren, erfordert viel Geduld und sensible Aufmerksamkeit – und damit genau jene Tugenden, die kaum eine Fernsehberichterstattung aufbringt.

Reggae Boyz, ein Dokumentarfilm des deutsch-amerikanischen Regisseurs Till Schauder, geht da ganz anders vor. Schauder hat sich bereits Anfang 2013 mit seinem Team nach Jamaica begeben, um ein ganzes Land dabei zu beobachten, wie es den Fußball tanzt. Im Zentrum steht die Nationalmannschaft, die sich für eine WM qualifizieren will. Wir lernen einzelne Spieler genauer kennen, erleben sie während der Spiele in der Kabine und folgen dem deutschen Trainer Winnie Schäfer, der zum großen Hoffnungsträger für die Jamaikaner wird.

Die Fans und ihre Rituale stehen in Schauders Film aber keineswegs im Abseits, sondern sind ebenfalls zentrale Protagonisten. Jamaica ist Reggae-Land – und wie! Der ganze Film badet in dieser Musik, porträtiert hautnah die Mitglieder einer Reggae-Band, springt auf kleine Bühnen und reiht sich ein in die Umzüge der Enthusiasten. Sie begleiten ihre Mannschaft, kommentieren die Spiele passioniert, berichten von den Problemen und Hindernissen. So fängt der Film jamaikanische Lebenskultur ein und zeigt, wie aus diesem hinreißenden, ewig brodelnden Sud eine spezifische Art, Fußball zu verstehen und zu spielen, entsteht. Keine blassen Nachrichten, keine Reporter, die vor einem Spielerhotel warten, um uns mitzuteilen, dass Joachim Löw unter einer WM-Grippe leidet. Stattdessen: Körper, pausenlos in Fußball-Ekstase, bunt und so leidenschaftlich, dass man wirklich glaubt, es könne nichts Tolleres auf der Welt geben.

Reggae Boyz ist unbedingt sehenswert und lässt einen (endlich mal wieder) etwas von der Freude ahnen, die Fußball machen kann. Der Film läuft gegenwärtig in vielen deutschen Kinos und auf Festivals (wie etwa auf dem SWR Festival, bald in Stuttgart).