Pfingsten 2

Dreimal kommen die Jünger Jesu in einem bestimmten Haus Jerusalems zusammen. Beim ersten Mal (Gründonnerstag) essen sie mit Jesus (kurz vor seiner Kreuzigung) das Abendmahl. Beim zweiten Mal essen sie wiederum mit Jesus (nach seiner Kreuzigung und „Auferstehung“) und verabschieden sich von ihm, bevor er „in den Himmel auffährt“ (Christi Himmelfahrt). Beim dritten Mal sind sie allein, unter sich, Jesus fehlt. Das ist der Tag (Pfingsten), an dem er sich nicht unmittelbar mittteilt, sondern auf indirekte Weise zu ihnen spricht.

Die Apostelgeschichte erzählt dieses Ereignis als „Pfingstwunder“: Vom Himmel sei ein gewaltiger Sturm und ein Brausen gekommen und habe das ganze Haus erfüllt. Und es seien brennende Zungen erschienen, die sich auf jeden einzelnen Jünger gesetzt hätten, worauf sie begonnen hätten, in Sprachen zu predigen, die ihnen zuvor noch fremd gewesen seien.

Das „indirekte Sprechen“ Jesu hat eine Geschichte, die in die Jahrhunderte vor seinem Leben zurückreicht. Denn bereits in der griechischen Antike teilen sich die Götter nie direkt den Sängern mit, die darauf von ihnen erzählen und künden. Stattdessen gibt es immer starke Vermittler, wie zum Beispiel die Musen, die vieles, was die Götter mitteilen, den Menschen übersetzen und „eingeben“.

Götter- und Gottessprache ereignet sich über „Inspirationen“ für Sängerinnen und Sänger, die solche Inspirationen in große Literatur (Gedichte, Epen, Dramen) umbilden. Die „brennenden Zungen“ sind Bilder für solche heißen „Inspirationsströme“, sie versetzen die Jünger in die Lage, etwas zu beherrschen, was ihnen zuvor noch fremd war: Von einem Moment auf den andern sprechen sie „in fremden Sprachen“.

Die Apostelgeschichte erzählt davon, wie das Pfingstwunder die Menschen Jerusalems darüber in Erstaunen versetzte. Dabei ist nicht nur von jenen die Rede, die dort geboren sind, sondern besonders von jenen, die dort gerade leben oder die Stadt besuchen: Parther, Meder, Menschen aus Ägypten und Libyen, Kreter, Araber und viele andere. Das ganze östliche Mittelmeer scheint in Jerusalem versammelt, um den Sätzen des neuen Glaubens zu lauschen. In diesen Osten wird sich der Glaube nun ausbreiten, und die zuvor noch so sesshaften Apostel werden sich in Prediger und Missionare verwandeln.

„Pfingsten“ ist die Geburtsstunde der „inspirierten“ (heute sagen wir: „kreativen“) christlichen Rede von Gott. Eloquent, auf der Höhe der antiken Rhetorik, wort- und bildermächtig, das Abenteuer einer Sprache, die sich der Fremde annimmt, um sie neu zu erschließen.