Heute vor zweihundert Jahren wurde der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew (1818-1883) geboren. Ich kann mich gut erinnern, dass mein Vater den Erzählungsband Aufzeichnungen eines Jägers (1852) besonders mochte. Er hatte ihn in der Vermutung gekauft, Jagdgeschichten zu lesen, das stellte sich aber als Irrtum heraus.
Der Erzähler war zwar ein über Land ziehender Jäger (wie Turgenjew es manchmal auch selbst gewesen war), die Hauptgestalten aber waren Bauern, von deren Leben in Leibeigenschaft präzise erzählt wurde: Wie sie sich kleideten, was sie aßen, wie und wovon sie sprachen, was sie bewegte, wie sie in Würde zu leben versuchten. Mein Vater hielt Turgenjews Erzählen daher für „dokumentarisch“, als wäre er wie ein früher Reporter oder Feldforscher unterwegs gewesen, um über sein Land zu berichten. Deshalb war er von den Aufzeichnungen eines Jägers auch nicht enttäuscht, sondern machte sie zu einer seiner Lieblingslektüren.
Ich selbst mag die letzte Erzählung in diesem Band (Wald und Steppe) besonders. Sie erzählt nicht vom Leben der Bauern, sondern präsentiert den einzigen Jäger des ganzen Buches. Das aber nicht im Rahmen einer Geschichte, sondern als einen Menschen, der von der Natur begeistert ist: Vom Aufbruch im Morgengrauen, vom Aufklaren, von der Morgenröte … – und von herbstlichen Stimmungen: Kein Wind weht, weder Sonne noch Licht, noch Schatten, Bewegung oder Geräusch; die weiche Luft ist erfüllt vom Herbstduft, sie duftet wie Wein; zarter Nebel steht über den gelben Feldern der Ferne …
Zum zweihundertsten Geburtstag Turgenjews sind die Aufzeichnungen gerade in einer Neuübersetzung von Vera Bischitzky wieder erschienen (Iwan Turgenjew: Aufzeichnungen eines Jägers. Hrsg. und übersetzt von Vera Bischitzky. Hanser Verlag 2018).