Die Wintererwartung 2

Da der Winter nicht kommen will, lassen wir uns etwas von seinen Schönheiten erzählen. Nigel Slater gibt gleich auf den ersten Seiten seines Wintertagebuchs (aus dem Englischen von Sofia Blind. DuMont Verlag 2018) zu, dass er sich im Winter am wohlsten fühlt. Reif auf dem Dach, Feuer im Kamin, Schnee unter den Sohlen – das ist es. Das gefrorene Gras knirscht, das Eis auf einem Teich glitzert. Slater ist einer der seltenen Menschen, die der Winter ins Schwelgen versetzt – und das (wie es sich für echte Schwelger gehört) auf fast 500 Seiten.

Sie kommen uns aber dadurch entgegen, dass ihnen die Tagebuch-Idee zugrunde liegt. Daher lesen wir sie nicht auf einmal, sondern „im Laufe der Zeit“. Slater beginnt Anfang November mit „Rezepten, Notizen und Geschichten“ (so der Untertitel) und führt uns langsam auf Weihnachten zu. Das große Fest bedeutet die Wende in seinem Viermonatsreigen und die Hinwendung zum Winterabschied. Der steht uns Anfang Februar bevor (das entsprechende Fest ist Mariä Lichtmeß).

Und so gehen wir mit Nigel Slater im Winter spazieren, lernen, „in die Kälte hinausgehen“ oder „aus der Kälte hereinkommen“ und verstehen genauer, was es heißt, „den Winter zu essen“ und ihn „zu trinken“. Ausgeklügelte Winterrezepte (verblüffend genau auf diese Jahreszeit abgestimmt und mit Rezeptfotos von Jonathan Lovekin kombiniert) bilden die Klammern für seine Erzählungen und Reflexionen, die immer etwas stark Atmosphärisches haben. Haben wir den Winter je so positiv gesehen? Als wäre er die Erfüllung des Traums, das Leben in geradezu festlicher Schlichtheit zu begehen?

Mythen und Tipps zu Kerzen finden wir in Slaters großem Winterkasten der tausend Themen ebenso wie Städte aus Zucker oder Geheimnisse des Weihrauchs. Wir kochen Steckrübenpüree und widmen uns den Feinheiten einer Feigenterrine. Heute, am Martinstag, ist ein kleiner Schinken mit Quittenmus dran – und außerdem erfahren wir natürlich alles über den Festtag selbst (seine Herkunft, die Festbräuche und wo Nigel Slater an diesem Tag traditionell in London frühstückt).

Der Winter will nicht kommen?! Von wegen, mit Nigel Slater erleben wir ihn intensiver, als wenn er wirklich da wäre. Und das ist gewiss kein geringes Kompliment für ein Buch, das originell und erfindungsreich mit einer Jahreszeit umgeht, der wir manchmal nicht die stärksten Sympathien entgegenbringen.