Krippenschau

Die Zeit zwischen den Jahren war früher die der Krippenwege. Drei oder vier Krippen in verschiedenen Kirchen nacheinander zu sehen, war für Kinder ein besonderes Ereignis. Vor dem digitalen Zeitalter wirkten Krippenlandschaften wie frühe virtuelle Entwürfe von filmischen Panoramen, in die Kinder ihre eigenen Drehbücher hineinprojizierten.

Im Zentrum stand die Krippe, von Maria, Josef und einigen Tieren begleitet. Im weiteren Raum aber näherten sich nicht nur Engel, Hirten oder die Heiligen drei Könige, sondern Menschen des vertrauten Alltags. Ein Dorf, eine Stadt, die Bewohner, bei ihren Tätigkeiten beobachtet – das setzte Fantasien frei. Gerade auf diese Durchmischung der aus dem Neuen Testament bekannten Szenen mit denen freier Erfindung kam es an. Das staunende Kind konnte sich vorstellen, im Raum solcher Szenen ebenfalls dabei zu sein. Wo war sein Platz? Mit wem hätte es gerne gesprochen oder gar Freundschaft geschlossen?

Ausgedehnte Krippengelände mit den unterschiedlichsten städtischen und ländlichen Milieus integrierten die biblischen Szenen in den weltlichen Lauf der Dinge. Oft hatten die eifrigen Handwerker irgendwo auf einem Gerüst oder die auf einem freien Feld beschäftigten Bauern gar keinen Blick für das nahe Heilsgeschehen. Gerade diese Parallelität der Ereignisse wirkte entlastend. Sie deutete an, dass das Leben der Heiligen Familie sich bald ebenfalls im irdischen Kosmos abspielen und Engel sowie Weise aus dem Morgenland nur ein einzelnes festliches Ereignis mit inszenierten, keineswegs aber zum Dauerinventar des folgenden, viel härteren Lebens gehörten.

Je ferner vom Biblischen die Krippen ihre Kulissen entwarfen, umso mehr Interesse beanspruchten sie. Im Kölner Hauptbahnhof findet man eine Ruinenkrippe, die das Geschehen in das nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte Köln verlagert. Die Szenen spielen inmitten von Trümmern und lassen das Kind erschrecken, das die scheinbar bekannte Welt ringsum plötzlich in ganz anderem Licht sieht. In solchen Ruinen waren einmal Menschen zu Haus? Ja, dort haben die älteren Verwandten einmal Weihnachten gefeiert, kurz vor den Glitzerzeiten von heute.