Im Friseursalon

(Heute auch als Kolumne im Kölner Stadt-Anzeiger, S.4)

Alle zwei Monate lässt Justus sich die Haare schneiden. Aus Gewohnheit geht er immer in denselben Friseursalon, wo ihn Matti erwartet. „Vorne kurz, hinten länger, wie letztes Mal“, sagt Justus leise und kommt sich etwas altmodisch vor. Zu beiden Seiten studieren viel jüngere Kunden mit Hilfe von Tablets die gegoogelten „Frisuren männlich 2019“. Sie werden von Stylisten umkreist, die eine intensive Typberatung betreiben. Modisch angesagt sind längere Haare, auch dramatische Locken, die aber „undone“ getragen werden, „raspelkurze Seiten“ dagegen sind jetzt das Letzte.

Nach der Typberatung werden die neusten Zeitschriften verteilt. Die meisten Kunden lesen GQ oder Men´s Health, die mutigeren pflücken Modetrends auch aus den Frauenzeitschriften. Lektüren verlaufen laut, Bruchstücke werden in den Raum geschleudert und ziehen Gelächter oder kurze Kommentare nach sich.

Vor dem Schnitt müssen alle unters Wasser, Haare waschen, inklusive einer speziellen Kur. Das kann man auf einem Massagestuhl erleben, dessen röhrende Stangen sich massiv an den Rückenmuskeln entlangbewegen. Kurzes Atemholen, ein Gläschen Prosecco oder auch nur etwas Wasser. Justus mag nicht massiert werden, auch die Kopf- oder Handmassagen von wortarmen Azubis mit ausdrucksloser Mimik ignoriert er. Mit hochgezogenen Schultern versinkt er unter seinem weiten Poncho und blickt stur auf die Tageszeitung.

Die Gespräche kreisen um Neueröffnungen von Restaurants oder Bars, angesagte Drinks, Sport und Mode. Gesprochen wird im Stil des „Karlism“ und damit in jenem unnachahmlichen Idiom, das Karl Lagerfeld kreiert hat („I like everything to be washable, myself included.“) Knappe Pointen, gedämpfter Humor, alles soll leicht und selbstbewusst wirken, als berührte einen die Welt nicht besonders. Zwei Stunden verbringt Justus im Lagerfeld-Country, zahlt, schüttelt sich, verlässt den Salon und traut niemandem mehr über den Weg.