Nachrichten von den Leblosen

(Auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 15. April 2019, S.4)

Paul lädt seine fünf besten Freunde per Facebook mal wieder zu einer Kurzwanderung ein: Vier Stunden quer durch die Wälder zum Waldheim. Josef meldet sich nach zwei Minuten: Warum wieder zum Waldheim? Warum nicht zum Stausee? Sechs Minuten später ist Ernie soweit: Warum nur wir Freunde? Warum nicht auch Bekannte, Frauen und Kinder? Das regt Dieter sehr auf: Bisher waren wir Männer ganz unter uns, das soll so bleiben, höchstens Hunde wären als Begleitung noch passend. Was soll das heißen? fragt Bernd, sind Hunde als Begleitung beliebter als Frauen und Kinder? Um Gottes willen, meldet sich Dieter zurück, so war das doch nicht gemeint! Hat sich aber so angehört, bellt Bernd, worauf Paul wieder eingreift: Leute – was ist denn bloß mit Euch los?!

Seit einiger Zeit nerven Social Media-Konferenzen. Sie beginnen mit einem harmlosen Vorschlag oder einer unscheinbaren Idee und weiten sich in wenigen Minuten zu heißen Debatten über das Weltganze aus. Jeder Satz provoziert eine Antwort, die sich quer stellt und dadurch zu einer neuen Provokation wird. Rasch entwickeln die immer schärfer werdenden Abgrenzungen eine eigene Dynamik. Schließlich redet sich jeder in einer bestimmten Position fest, die eigentlich gar nicht seine Position ist und auch niemals so gedacht war: Josef will nur zum Stausee! Ernie nur mit Großgruppen! Dieter wiederum höchstens mit Hunden!

Nach einer Weile steht der Austausch still, und niemand ist in der Lage, das Knäuel der Meinungen aufzulösen. Dann haben wir es mit Formen von Entscheidungsfindung zu tun, wie sie für Social Media-Kontakte typisch sind. Der falsche Gebrauch der Neuen Medien zerkleinert jedes Thema mikroskopisch bis ins Unendliche und führt schließlich zur Erstarrung. Seit einiger Zeit sind wir die armen Zuschauer dieses Dilemmas und erhalten fast täglich Nachrichten von den Fronten der Leblosen: Monatelange Koalitionsverhandlungen, jahrelange Brexit-Umkreisungen – und keinen Tag nur eine Spur von Bewegung.

Was aber könnte helfen? Die Gesprächspartner einsperren und isolieren, magere Kost, wenig Getränke, keine sonstige Unterhaltung – nach dem Vorbild eines Konklaves zur Papstwahl, bei dem der weiße Rauch neuerdings in immer kürzeren Abständen aufsteigt. Handybenutzung, Internet – das alles ist den Kardinälen verboten, und so verlieren sie rasch die Lust an der ewigen Streuung der Meinungen und einigen sich schließlich ruckzuck auf einen Gelehrten aus Deutschland oder einen Heiligen vom anderen Ende der Welt.