8.20 Uhr. Über eine Sprechstundenhilfe lasse ich mich mit meinem Hausarzt verbinden. Er soll mir mitteilen, wie ihm meine gerade ermittelten Blutwerte gefallen. Da ich die Werte noch nicht kenne, bin ich etwas nervös und lege los …
Einen schönen guten Morgen, Herr Doktor! – Guten Morgen! Wie geht es Ihnen? – Prachtvoll! Ich möchte mich nach meinen Blutwerten erkundigen. Die Werte müssten doch jetzt vorliegen, oder? – Ja, die liegen jetzt vor. – Wunderbar! Ich vermute nämlich, dass es die besten Werte seit langem sind, ich ahne so etwas nicht nur, sondern spüre es. Lange habe ich nicht mehr so gesund gelebt wie zuletzt, viel frisches Gemüse und Obst, kaum Fleisch, eher Fisch, kaum Pasta, eher Reis – ab und zu mal ein kleines Glas Wein, nie zuviel, maßvoll. Und dazu natürlich intensive Bewegung, morgens mindestens zehn Minuten lockere Gymnastik und jeden Tag ein langer Gang durch die Wälder und Auen, bester Laune, weil … – Herr Ortheil, sollen wir die Werte einmal durchgehen? – Gern, ja, das wird ein richtiges Vergnügen, denke ich, nichts motiviert einen ja so wie gute Werte, dann arbeitet man gleich doppelt so leicht und beschwingt wie zuvor, denn … – Also gut, dann fangen wir am besten mal an … – Das können wir gerne, zumal Sie ja den Überblick über die letzten Jahrzehnte haben, das ist stark, so ein Überblick, so eine Chronik meiner Werte, die würde ich gerne mal ausgedruckt sehen, daraus ließe sich bestimmt etwas gestalten, eine Art Installation meiner arbeitsbegleitenden Blutexistenzen, keine schlechte Idee, man könnte ermitteln, wie sich welcher Roman und welche sonstigen Schreibarbeiten bluttechnisch niedergeschlagen haben. In letzter Zeit habe ich übrigens kaum etwas Nennenswertes geschrieben, sondern mich an Ihre Vorgaben gehalten: stundenlanges Gehen durch Wälder und Auen, frische Luft, Gemüse und Obst, brutale Schreibreduktion, alles habe ich umgesetzt, wie gewünscht, das reduzierte Schreiben ist mir fantastisch bekommen, hätte ich vorher nie gedacht, ist aber so, ich schreibe im Grunde kaum noch, eher lese ich, aber auch das höchstens in Maßen und im Gehen und zwischendurch immer mal ein paar gymnastische Einlagen, vorzugsweise am Wasser, wegen der guten Luftwerte … – Herr Ortheil, ich rufe Sie am Mittag zurück, sollen wir es so machen? – Aber sehr gerne, Herr Doktor, warten wir bis zum Mittag auf die Blutwertoffenbarung, dann wird es mir noch besser schmecken als …, ich meine, das wird … also am Mittag wäre die Verkündung der Werte geradezu ideal platziert und auch integriert … – Auf Wiederhören! – Auf Wiederhören, Herr Doktor, bis die Tage …