Worüber ich mit Mariana Leky und Arnold Stadler gesprochen habe

Im Rahmen der 18. Westerwälder Literaturtage habe ich (wie an den letzten Tagen gemeldet) mit Mariana Leky und Arnold Stadler über das Thema Heimat/en gesprochen. Welche Unterscheidungen haben wir dabei getroffen?

Begonnen haben wir mit der „ersten Heimat“ – mit dem Dorf oder dem Viertel einer Stadt, in dem wir groß geworden sind. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um „Dorfgeschichten“). Die „erste Heimat“ ist der prägende Raum der frühsten Begegnungen, in deren Verlauf die für unser ganzes Leben zentral und bestimmend werdenden Menschen und Dinge ins Spiel kommen. Wir lernen, den uns umgebenden Raum nicht nur zu benennen, sondern auch zu empfinden. Seine Gerüche, Farben, Wärmegrade und Klänge, seine Speisen und Getränke begleiten uns ein Leben lang.

(Im Alter kann es daher passieren, dass wir uns nach dieser „ersten Heimat“ zurücksehnen. Wir spüren „Heimweh“, die „erste Heimat“ ist dann unsere „alte Heimat“, die wir im Extremfall sogar wieder aufsuchen oder in der wir uns endgültig niederlassen.)

Irgendwann, meist in der späten Pubertät, zieht es uns in die „zweite Heimat“. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um eine Aufbruchsgeschichte.) Sie ist uns nicht gegeben (wie die „erste“) – wir müssen sie vielmehr erst herstellen. Dazu gehört, dass wir die Besonderheiten eines „anderen Lebens“ (in einiger Entfernung von der „ersten Heimat“) verstehen und auf sie reagieren. Sich „zu beheimaten“ ist ein kultureller Akt, der von uns verlangt, die erste Heimat der frühsten Zeit mit einer „anderen Heimat“ neuer Zeitrechnung zu verbinden.

Treibt es uns noch weiter hinaus, reisen wir in die „ferne Heimat“. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um die Geschichte der „Weltreise“). Sie liegt nicht mehr nebenan, sondern in einem Jenseits oder Irgendwo, zu dem wir vorher noch nie eine Verbindung spürten. Wir überqueren Flüsse und Meere, wir streben in andere Kontinente, die „erste Heimat“ gerät beinahe ganz aus dem Blick.

Ignorieren wir die „ferne Heimat“, könnte stattdessen auch der europäische Raum für uns zu einem größeren Ganzen werden. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um die Geschichte der „nahen, benachbarten Fremde“). Mit der Empfindung von „Europa als Heimat“ treffen wir auf das historische Neben- und Miteinander der unterschiedlichen europäischen Kulturen, die seit Jahrtausenden eng miteinander verbunden sind. Vielleicht pendeln wir zwischen unserem Heimatland und den Nachbarländern hin und her, oder wir machen Urlaub im Norden oder im Süden – in fast allen Fällen erleben wir die anderen Welten eng bezogen auf unsere eigenen: im Vergleich von Nähe und Ferne oder in der bewusst empfundenen Andersartigkeit.

Von hier aus wächst das Verständnis für all die, die nun wiederum von anderen Ländern zu uns kommen. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um Geschichten der Flucht oder des Exils). Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die Vertriebenen, dann die sogenannten „Gastarbeiter“, jetzt sind es Flüchtlinge und Hilfesuchende. Indem wir ihnen begegnen und auf sie zugehen, bewährt sich unser in der weiten Fremde geschulter Sinn: Jetzt sehen wir „die anderen“ bei uns „ankommen“, um eine „neue Heimat“ zu finden und sie mit unserer Hilfe zu gestalten.

Schließlich der „globale Raum“. (Literarisch betrachtet, handelt es sich um Geschichten des kosmonautischen Blicks.) Von ihm haben wir zuerst etwas in den Tagen der ersten Mondlandung (1969) mehr erfahren. Da sahen wir unseren Globus durch das Fenster einer Rakete, sein verlorenes Treiben im dunklen All, seine Schönheit und Ungeschütztheit. Plötzlich war das Ganze unserer Raumfluchten erkennbar: Eine blaue Seifenblase im Universum, dem „umfassend Ganzen“. Es war kein Zufall, dass sich damals der Club of Rome zum ersten Mal meldete und uns daran erinnerte, was wir der Schönheit und Unversehrtheit der Erde schuldeten: Unseren aktiven Einsatz, die Ausdehnung unseres entwickelten Heimatbewusstseins auf den ganzen Planeten.