Kleine Heimat(en) 2

Ich sitze in dem ältesten Teil des Restaurants Alte Vogtei in Hamm an der Sieg. Mein Platz ist der kreisrunde Tisch, an dem sonst die Wirtsleute sitzen und zur Ruhe kommen, wenn die meisten Gäste gegessen haben. Wie oft bin ich hier schon gewesen, habe den Mittag oder den Abend verbracht oder habe mit Bekannten oder Freunden zu einem schönen Anlass gefeiert!

Ich blicke auf die Eingangstür, durch die man den Raum der „alten Gastwirtschaft“ betritt. Danach erkennt man die Theke, die auch zugleich die Rezeption ist. Die viereckigen Tische laden zu kleinen Mahlzeiten zwischendurch ein, zu knusprigem Westerwälder Brot mit Schinken und Käse aus der Umgebung und zu dunklem Bier aus Hachenburg.

Das Restaurant hat noch viele andere Räume, und jeder von ihnen hat einen eigenen Charakter und daher auch einen eigenen Namen. Es gibt die Ratsstube und ein Biedermeiereckzimmer, es gibt das Gewölbe, ein Jagdzimmer und das Raiffeisensälchen, und es gibt eine hölzerne Kegelbahn, an der ich so manche Partie verloren habe.

Warum sitze ich am liebsten am Tisch der Wirtsleute?  – Urtiefen der Erinnerung: An den Gasthof meiner väterlichen Großeltern und seine Gaststube. An seine Fachwerkarchitektur. An den Geruch eines Bratens, der aus der nahen Küche durch eine halb geöffnete Tür einzog und Appetit machte. An die Männer, die nur an viereckigen Tischen Karten spielten, weil runde Tische für das Ausspähen von Karten eine Gefahr darstellten. An die weißen Vorhänge, die erst geschlossen wurden, wenn der letzte Gast die Wirtschaft verlassen hatte. An den Bruder meines Vaters, der hinter der Theke stand und Bier zapfte. An meinen Vater, der, je länger wir saßen, immer stiller wurde und am Ende ganz schwieg. An mich selbst, der ich mich als Kind so „zu Hause“ fühlte wie (noch) nirgends sonst.