Am zweiten Tag unserer siebentägigen Wanderung durch neue Sommerlektüren (begleitet von Musik und Bildern) halten wir uns mit Sigmund Freud in Italien auf. Jörg-Dieter Kogel hat uns in einem sehr informativen Buch (Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien. Aufbau 2019) Details der vielen Reisen vorgestellt.
Italien war das bevorzugte Reiseland Freuds. Fast immer suchte er es in ausgewählter Begleitung auf und bereitete sich intensiv auf jede einzelne Reise vor. Er sprach fließend Italienisch und versuchte, die Aneignung neuen Wissens mit jenem epikuräischen „Vergnügen“ zu paaren, das aus der Dreiheit von schönem Wohnen, sehr guten Mahlzeiten sowie engem Kontakt mit den Einheimischen und der Umgebung bestand.
Freud reiste nicht naiv. Das Besondere seiner leidenschaftlichen Reiseaktivität besteht darin, dass er in vielen Briefen und Notizen nicht nur seine ersten Eindrücke festhielt, sondern passioniert darüber nachdachte, warum ausgerechnet ihn gerade diese Eindrücke ereilten. So unterzieht er sie oft einer auf seine Person und ihre Eigenheiten zugeschnittenen Analyse, die das Alltägliche ebenso zum Gegenstand macht wie ein einzelnes Kunstwerk.
Als Reisender sucht Freud nach jenen „Bedeutungen“, die sich unter der Oberfläche des Gesehenen abzeichnen. Statt als Tourist bloß passiv zu reagieren, fahndet er nach den in Tiefenschichten der Dinge und Kulturen sich artikulierenden Zeichen. So erscheint „das Reisen“ als Urmethodik der späteren psychoanalytischen „Betrachtung“: Es durchstreift das Fremde und Verborgene, legt es sich in Denkschritten zurecht und formuliert „ihm gegenüber“ eine Karte der Deutung.
In Kogels Buch kann man Freud in Venedig, Norditalien, der Toscana und Umbrien, vor allem aber in Rom begleiten, bis schließlich auch Neapel, Capri und Sizilien bereist werden. Es handelt sich um eine ideale „Hauslektüre“: Vom eigenem Haus aus zieht man lesend durch eine „zweite Heimat“ und überlegt, welche Erfahrungen man als Reisebegleiter Freuds gemacht hätte.