Heute ist der kirchliche Gedenktag für Bernhard von Clairvaux (1090-1153). Ich erinnere mich gut an die Kindertage, als wir am 20. August ihm zu Ehren in den Gottesdienst gingen. Oft war ein hoher Würdenträger des Zisterzienserordens anwesend und zitierte aus den Schriften des Heiligen, der schon zu Lebzeiten eine europäische Berühmtheit war.
Ich weiß noch, dass ich einmal lange über seinen Satz „Gott ist die Ruhe, und er beruhigt alles“ nachgedacht habe. Dass Gott „alles beruhigt“, hätte ich in dieser Einfachheit selbst noch nicht zu sagen gewusst. Dabei konnte ich diesem Gedanken sehr viel abgewinnen, denn genau das empfand auch ich, wenn ich an Gott dachte: dass er „alles beruhigt“. Wenn ihm das gelang, konnte man ihn wohl als „die Ruhe“ bezeichnen, das war logisch und konsequent.
Auch der Satz, dass aus dem Schweigen alle Kraft komme, leuchtete mir ein. Das Schweigen empfand ich damals als unterschätzt. Wer schwieg, schien etwas nicht zu wissen, oder er wirkte ängstlich oder gelangweilt. Dabei war das Schweigen doch wichtig: um auf gründliche Weise, langsam voranschreitend, an gute Gedanken zu kommen, um sie zu prüfen und genau zu formulieren. Wer arglos drauflos schwätzte, brachte sich oft selbst um die angestrebte Genauigkeit und eine tiefergehende Wirkung des Gedachten.
Auf bildlichen Darstellungen (wie etwa von Filippino Lippi oder Perugino) war Bernhard oft im Gespräch mit der Gottesmutter Maria zu sehen. Er kniete an einem Schreibpult, hatte eine Feder in der Hand und lauschte auf das, was Maria ihm sagte. Das war verblüffend. Maria in der Rolle eines Engels, der einem Schreiber Sätze von Gewicht zuflüsterte! War noch ein anderer Heiliger in den Genuss einer so besonderen Verkündigung gekommen?!
Sehr gefiel mir, dass man Bernhard als „Doctor mellifluus“ (honigfließenden Lehrer) bezeichnet hatte, um durch diese schöne Metapher seine besondere Rede- und Schreibkunst zu ehren. (In meinem Roman Schwerenöter habe ich im Internatskapitel viele direkte und indirekte Anspielungen auf dieses „honigfließende Sprechen“ untergebracht …)
Wo gab es, überlegte ich in den früheren Zeiten weiter, dafür eine Entsprechung in der Musik? Das „Honigfließende“ war etwas Helles, Tröstliches, Schlichtes, das tief in die Seelen der Hörer eindrang. Als ich Mozarts Fassung des Ave Verum Corpus (KV 618) wieder einmal in einem Gottesdienst hörte, wusste ich es – das war „honigfließende Musik“, die einen nach dem Hören schweigen und zur Ruhe kommen ließ.