Während eines festlichen Abendessens in der Wohnung meiner Literaturagentin saß ich neben der Schauspielerin Corinna Harfouch. Als erstes wurden Artischocken serviert, deren Außenblätter man abzupfen und in eine kleine Schale mit Olivenöl und Meersalz tunken musste.
„Wie lästig!“ sagte Corinna Harfouch, „ich mag so ein Gefummel nicht.“ – „Spielen Sie noch Klavier?“ fragte ich. – „Fast täglich“, antwortete sie, „und Sie?!“ – „Seit meiner Krankheit funktioniert es nicht mehr“, sagte ich, „meine Hände spielen nicht koordiniert.“ – „Was heißt das?“ – „Die linke begleitet nicht die rechte, sondern streikt ganze Passagen lang oder macht etwas Anderes, als führte sie ein Eigenleben.“ – „Interessant.“ – „Na, ich könnte darauf verzichten.“ – „Und was steckt dahinter?“ – „Mein Gehirn arbeitet anders als früher, es hat die starke Narkose noch nicht verarbeitet.“ – „Aber ist die Narkose nicht schon einige Zeit her?“ – „Ist sie. Das ist ja das Seltsame.“ – „Haben Sie sonst noch Störungen?“ – „Meine rechte Hand schreibt nicht so, wie ich will. Ich denke rascher als ich schreibe. Das war früher nie so.“ – „Und das heißt?“ – „Ich bleibe beim Schreiben mit der Hand laufend stecken, weil ich Worte zu langsam aneinanderreihe, die am Ende keinen Sinn ergeben. Will ich Heute ist schönes Wetter schreiben, schreibe ich Heu schrö Wettr… – so in der Art.“ – „Sie sollten zu einem Arzt gehen.“ – „Ich denke nicht dran. Mit meinem Gehirn komme ich selbst zurecht.“ – „Sind Sie sicher?“ – „Absolut, es war schon immer so. Ich habe seit der Kindheit ein sehr eigenwilliges Gehirn.“ – „Und was tun Sie dagegen als nächstes?“ – „Sie könnten mir Klavierunterricht geben.“ – „Im Ernst?“ – „Ja, das würde helfen. Ein strenger Unterricht wäre genau das Richtige.“ – „Wann haben Sie denn Zeit?“ – „Wann Sie wollen!“
Corinna Harfouch zerlegte die Artischocke mit dem Messer in zwei Stücke und aß nur noch das Herz. „Ich rauche jetzt draußen auf dem Balkon eine Zigarette“, sagte sie, „kommen Sie mit?“ – „Ich rauche nicht, aber ich komme mit“, antwortete ich. – „Was haben Sie nach dem Menu vor?“ fragte sie. – „Wir könnten zusammen durch die nächtliche Stadt ziehen.“ – „Zu Fuß?“ – „In einem Taxi. Wir steigen hier und dort aus und trinken etwas, Wodka mit Tonic, das mögen Sie doch.“ – „Sie haben den Film gesehen?“ – „Natürlich.“ – „Und wie fanden Sie ihn?“ – „Lassen Sie uns später darüber reden.“ – „Aber Sie mögen Berlin doch nicht besonders.“ – „Ach was. Ich habe Vorurteile, das ist alles. Und außerdem ist mein neu zusammengesetztes Gehirn geradezu scharf auf Berlin.“ – „Wissen Sie was? Wir sollten sofort aufbrechen.“ – „Und das Essen?!“ – „Geschenkt! Wir denken uns eine schicke Entschuldigung aus und verschwinden. Machen Sie mit?“ – „Sofort, wieso fragen Sie noch?“ – „Okay. Ne dites pas que ce garçon était fou…“ – „Wie bitte?“ – „Später, ich erklär´s Ihnen später…“
(Lara ist ein Film von Jan-Ole Gerster, in dem Corinna Harfouch eine Pianistin spielt. In der Nacht, nachdem ich den Film gesehen hatte, träumte ich von ihr.)