Ich hatte Sie, liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, gebeten, sich in eine Situation zu versetzen, die ich schon mehrmals während Zugfahrten erlebt habe (Blogeintrag vom 21.02.2020). Dann saß ich zufällig einer oder einem Lesenden gegenüber, die gerade in eines meiner Bücher vertieft waren. Was tun? Sie haben viele Vorschläge gemacht, ich danke Ihnen dafür.
Ansprechen würde ich die Leserin in Blau auf keinen Fall, ich würde auch nicht zu meinem Notizbuch greifen, um festzuhalten, was mir an ihrem Lektüreverhalten auffällt.
Würde ich mich umsetzen? Ganz bestimmt – und zwar so, dass ich sie nicht länger im Auge behielte. Würde ich den Großraumwagen vielleicht sogar verlassen? Ja, sehr wahrscheinlich.
Um einem Gespräch auszuweichen? Um den schönen Moment der Lektüre meines Buches durch eine Leserin höchstens als Bild im Kopf zu speichern?
Nein, so ganz denn doch nicht. Ich würde in den Speisewagen gehen und eine kleine Flasche Prosecco für die Leserin bestellen. Der Restaurantkellner sollte sie bringen und dazu eine Nachricht von meiner Hand übergeben: „Viel Vergnügen bei der Lektüre meines Buches wünscht Ihnen Hanns-Josef Ortheil.“ Mag die Leserin keinen Prosecco, sollte der Kellner stattdessen Wein, Tee, Kaffee oder Kakao servieren – alles ist möglich (aber bitte kein Bier).
Ich hoffe, die Leserin wäre (positiv) überrascht. Vielleicht würde sie sich umschauen, mich aber nicht gewahr werden. Vielleicht würde sie auch in den Speisewagen gehen, um dort nach dem Schriftsteller O zu fahnden. Und: ja, im Speisewagen säße er in so einem Fall und läse gerade eine Zeitschrift oder ein Buch.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Leserin ihn erkennen würde. Und wenn ja – entstünde eine wunderbare Unterhaltung, bei einem weiteren Prosecco… – aber hoffentlich über ein anderes Thema als das Buch des Schriftstellers O.