(Vor kurzem auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“)
Mein guter Freund Friedrich ist Arzt und in diesen Coronazeiten überbeansprucht. Wenn er überhaupt noch Zeit zum Lesen findet, interessieren ihn historische Darstellungen von Pandemien. Was haben die Menschen früher in ihrer noch viel größeren Hilflosigkeit dagegen getan? Und wie haben sie das Erlebte gedeutet und kommentiert?
Eher durch Zufall ist er auf Texte des barocken Predigers Abraham a Santa Clara gestoßen, der sich anlässlich der großen Pest in Wien 1679 selbst monatelang in Quarantäne begab und in der Isolation an seinem wortgewaltigen Werk Merck‘s Wienn! arbeitete. Darin las er den Menschen seiner Zeit die Leviten und stimmte mit wahren Donnerworten ein großes Memento mori an, das keine der damaligen Stände verschonte.
Warum sind die Prediger unserer heutigen christlichen Kirchen dagegen kaum vernehmbar? Warum zum Beispiel veröffentlicht Kardinal Woelki nicht einen großen Text, in dem er sich selbst und uns allen die weltweiten Katastrophen von Corona aus theologischer Perspektive zu deuten versucht? Das alles fragt sich mein Freund, der manchmal so verzweifelt ist, dass er seinen alten, durch die Jahrzehnte mühsam geretteten Kinderglauben nicht mehr mobilisieren kann.
Die Pandemie unserer Tage trifft auf Menschen, die kaum noch glaubensstark, sondern eher glaubensschwach sind. Anders als in früheren Notzeiten strömen sie nicht mehr in die Kirchen, um dort Trost und Hoffnung zu finden. Ganz im Gegenteil – sie entfernen sich angesichts der Pandemie sogar noch mehr als zuvor, da der alte Glaube nun ganz zu versagen scheint. Diejenigen aber, die überhaupt noch glauben, bedürfen einer Deutung des Geschehens, die gerade die grundsätzlichen Glaubensfragen nicht mit den bekannten Formeln zuredet.
Zentral wäre die Frage, wie und in welcher Form Gott an dem beteiligt ist, was wir momentan erleben. Ist die Pandemie etwa ein einziges, großes Strafgericht? Was wäre das dann aber für ein grausamer, schrecklicher Gott, wenn er so mit den Menschen verführe? Oder ist sie eine Prüfung, um unsere Lebensentwürfe dramatisch zu korrigieren? Oder ist Gott nur ein Zuschauer, der das Geschehen teilnahmslos aus der Ferne wahrnimmt, weil er sich seit den Tagen Jesu alle direkten Einwirkungen auf das irdische Leben versagt?
Wenn dem aber so wäre, warum beten wir dann? Nur, um uns selbst zu beruhigen? Jedes Gebet richtet sich an das große, unbekannte Gegenüber, in der Hoffnung, von ihm gehört zu werden. Reicht dieses Gehörtwerdenwollen, wenn der erhoffte Zuhörer gar keinen Einfluss auf unser Leben nimmt? Und was würde Jesus, der doch die menschlichen Leiden und ihre Überwindung in den Mittelpunkt seiner Lehren gestellt hat, uns raten?
Viele solcher Fragen beunruhigen meinen Freund, und er wird noch unruhiger, wenn die meisten anderen Freunde abwinken. Gott, Jesus und ihr mögliches Wirken in dieser Welt beschäftigen sie nicht. Sie vertrauen den Stimmen der Virologen, und sie verfolgen genau, wie deren Prophetien sich in Politik verwandeln. Am Ende und unter dem Strich müssen Ergebnisse stehen. Wieviel kostet uns das? Und welcher Kanzlerkandidat kümmert sich am besten um unsere Zukunft? Ans große Sterben und ein Memento mori wird erst gar nicht gedacht. Die Gegenvision von gelingendem Leben besteht aus Ideen vom heiteren Urlaub. Angeblich haben ihn viele einmal für die schönste Zeit des Jahres gehalten. Na denn.