(Am 9.2.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Mein Freund Jürgen ist Filmproduzent. Ich fragte ihn, wie er die Coronazeiten aus dem Rückblick dramaturgisch umsetzen würde. Er zögerte keinen Augenblick, sondern hatte bereits ein Drehbuch im Kopf. Die Coronazeiten, sagte er, sind eine Netflix-Serie. Das Virus wäre das unsichtbar Böse, aggressiv, mächtig, gefährlich. Seine Gegenspieler bildeten eine zerstrittene Mannschaft, angeführt von einer sich mütterlich gebenden Direktorin und geltungssüchtigen Abteilungsleitern. Ihnen unterstünden Riegen von unauffälligen Mitarbeitern, die sich um die Detailprobleme kümmern und den Chefinnen und Chefs die großen Auftritte im TV überlassen müssten.
Dramaturgisch reizvoll wäre die Rolle der hoch informierten Agenten, die den Kampf mit dem Virus in ihren Speziallabors aufnähmen. Jeder von ihnen schreibe an seiner eigenen Geschichte und führe den Kampf mit einer Spezialwaffe. Sie arbeiteten bestimmten Abteilungsleitern zu und vernachlässigten andere, die ihnen nicht recht trauten, sondern eher auf die Ratschläge der Kommentatoren setzten. Alle strebten jedoch danach, in den Hallen der Direktorin auftauchen und ein paar Worte mit ihr wechseln zu dürfen. Filterkaffee und Apfelkuchen aus ihrer Küche wären höchste Auszeichnungen und den Orden alter Zeiten vergleichbar.
Das Virus selbst wäre der entscheidende Spannungsträger und absolut professionell in seinen Methoden. In jeder Staffel der Serie gäbe es ein neues Aggressionsmoment, das von den Kommentatoren unverzüglich in allen Kanälen verbreitet würde. Mal droht es mit Mutationen, mal mit fehlendem oder wirkungslosem Impfstoff, mal aber auch schlicht mit dem Wetter oder schlecht sitzenden Masken. An Wintertagen zeigt es sich auf Rodelstrecken oder windigen Skipisten und sitzt zynisch grinsend auf den leeren Rängen der Fußballarenen. Mühelos gelingt es ihm, seine Fortsetzungsgeschichte ewig weiter zu schreiben, wofür Tag für Tag die bekannt gegebenen Infektionszahlen sowie undurchsichtige R-Werte herhalten müssten.
Abend für Abend schleiche es dann durch die leeren Straßen der Städte und schaue durch die Fenster der Wohnungen, in denen die Menschen angsterfüllt vor den unermüdlich laufenden Fernsehern säßen. Als Begleitmusik ließe es Verdis Gefangenenchor laufen, während es sich über die Yogaübungen der zum Sitzen und Ausharren Verurteilten amüsiere. Seine Wirkung verfolge es auch anhand der gestreamten Bilder, die laufend zusammenbrächen und menschliche Körperteile in herumschlingernde Luftballons verwandelten.
Auf die kulturellen und mentalen Besonderheiten der Weltregionen gehe es auf besonders infame Weise ein und liefere einen jeweils spezifischen Nachrichtenstoff. Mal konzentriere es sich auf asisatische Tiermärkte, dann wieder auf westfälische Fleischfabriken, Berliner Hochzeiten oder venezianische Vaporetti. Es liebe pathetische Metaphern wie „Das Licht am Ende des Tunnels“ oder „Die Glutnester des Coronatsunami“ und erscheine spöttisch in dichten Aerosolen-Wolken über nicht mehr lieferfähigen Impfstoffherstellern.
Du redest so forsch, als hättest Du für die Zukunft sogar schon bestimmte Hauptdarsteller im Blick, sagte ich zu Jürgen. Natürlich, antwortete er, das Virus arbeitet längst mit. Es hat die kommenden Wahlen, einschließlich der Bundestagswahl, fest im Griff. Da wird es um nichts anderes gehen als Coronacorona, und das Virus wird uns Möchtegernhauptdarsteller en masse präsentieren! Aber Achtung! Erfolgreiche Serien haben fast immer zweite und dritte Staffeln. Und die haben nicht selten zig Episoden. Kapiert?!