(In erweiterter Form am 19.7.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“)
In meinem Freundeskreis existiert ein seltsames Raunen. Es hat ein eigenes Vokabular, das man früher noch nicht gehört hat. Bestimmte Worte drängen sich vor und sind immer wieder zu hören, auch da, wo sie nichts zu suchen haben. Ein häufiges Wort dieses unsicher wirkenden Lebensgefühls ist zum Beispiel „definitiv“. Überall taucht es auf, in Wetterberichten, ja selbst in harmlosen Sportreportagen. Ein Gewitter naht definitiv mit Starkregen, und die Erstrundenpartie unserer deutschen Fußballer in Tokio ist nicht gerade leicht, definitiv nicht. Woher kommt dieser Humbug?
Er reagiert auf die Unsicherheit in vielen Lebensbereichen, die durch die Pandemie entstanden ist. Lange Zeit stand nichts „definitiv“ fest, sondern musste untersucht, befragt, abgeklärt und erst aufwendig entschieden werden. Was darf man, was nicht? Solche Fragen haben unser Leben monatelang bestimmt, und sie haben Wirkungen hinterlassen.
Unter dem definitiven Lack, der die offenen Fragen und Wunden künstlich verdeckt, warten die angstmachenden Themen. Wenn sie auftauchen, zeigt sich „das Momentum“. Es biegt um die Ecke, winkt, setzt sich fest, zeigt Drohgebärden. Das Momentum bildet die Gegenwelt zum Definitivem. Es ist das Springinsfeld des sozialen Lebens, das Unerwartete, die plötzlich auftauchende, erschreckende Nachricht.
Wenn sie in digitalen Texten erscheint, hilft nur das „Digital Wellbeing“, das der Soziologe Urs Stäheli gerade in einem viel gelobten Buch über die Soziologie der Entnetzung skizziert hat. Einige meiner Freude haben gestaunt, welche Figuren des sozialen Lebens er ganz nebenbei rehabilitierte. Stell Dir vor, sagt Peter, der Schüchterne und Introvertierte hat einen großen Auftritt! Er erhält Beifall, weil er der nimmermüden Vernetzung entkommen und sich ein eigenes Reich von Themen und Lebensformen erhalten will.
Endlich darf ich wieder introvertiert sein, freut sich Peter, ja, es ist sogar angesagt und gilt als „Strategie“! Daraus lässt sich einiges drehen und machen, zunächst mal mit Hilfe einer schlichten Plug-Off-Software, die einige Zeit für absolute Ruhe und Netzstille sorgt! Zur Überwindung der Pandemie gehören eben auch solche Praktiken des radikalen Nachrichtenentzugs. Dann erst kann ein befreites Momentum nach dem andern entstehen, positiv besetzt, statt negativ und niedermachend! Das sind doch wirklich mal schöneAussichten! Definitiv!