Die Rhetorik der Sportkommentare kann auf mehreren Ebenen verlaufen.
Die erste ist die informative, neutrale (oder auch wertende): Daten, Raum- und Zeitangaben, Benennungen und Beschreibungen von Bewegungsabläufen (in sachlichem, beobachtendem Gestus).
Die zweite ist die emotionale: Das Erfassen und Signalisieren der„spannenden“, bewegenden, das Publikum psychisch aktivierenden Momente (in mitgehendem, zuspitzendem Gestus).
Die dritte ist die literarische: Die Wahrnehmung des sportlichen Geschehens aus einer sich in Metaphern, Umschreibungen und Lyrismen artikulierenden Distanz (in erzählendem, retardierendem Gestus).
Die vierte ist eine zusätzliche, eher selten vorkommende: Das Einbetten des Geschehens in die Biographien und Lebenswelten der Sportlerinnen und Sportler (in epischem, ausholendem Gestus).
Gestern hat Sportkommentator Carsten Sostmeier auf allen vier Ebenen während der Kommentierung des Dressurwettbewerbs der Reiterinnen geglänzt. Ich folge seinem Kommentar und zitiere teilweise wörtlich…:
Zu Beginn wird auf das kleine Gut Aubenhausen nördlich von Rosenheim gezoomt, wo die Reiterin Jessica von Bredow-Werndl lebt. Gleich kommt ihr großer olympischer Moment, wo sie zusammen mit ihrem Pferd Queen zur Königin des Abends werden könnte.
Die Stute trägt sie nicht nur auf dem Rücken, sondern auch im Herzen. So geht sie mit dem Pferd tanzen und macht das Pferd zur Tänzerin… – und wir bewundern (wunderschön!) das Wechselspiel von Schubkraft, Tragkraft und Schubkraft, während die Reiterin erscheint: wie gemalt!
Die Hürden kommen mit den unvorhersehbaren Schrecksmomenten, die der Kommentar elegant pariert: Schulterfreier, starker Trab, huch, ein kleiner Vertreter. Und, meisterhaft: Schade, das Pferd muss etwas abwerfen, schade, dass es die Einerwechsel im Entréebereich etwas veräppelt, ein natürlicher Vorgang im unpassenden Moment…, doch dieses Mißgeschick lächelt Jessica von Bredow-Werndl einfach aus dem Viereck!
So etwas Fantastisches gab es noch nie in der Geschichte des olympischen Mannschaftssports, haucht der Kommentator am Ende, die Emotionen galoppieren durch seinen Körper, und er schließt als Hymnuschorknabe: Ihr seid die Königinnen des Abends, Deutschland ist weiterhin das Königreich in der Mannschaftsdressur!
Dafür steht man schon mal auf von seinem Kommentatorplatz und verneigt sich, vor den Reiterinnen, ihren Pferden und nicht zuletzt: vor sich selbst…