Der Sportfetischist

Am Freitag werden die Olympischen Winterspiele in Peking eröffnet! Längst sind die Sportfetischisten unterwegs und bereiten sich vor. Ich widme Ihnen eine „Charakter“-Studie in der Manier von Theophrasts „Charakteren“:

Schon als Kind suchte der Sportfetischist den Sport überall. Er lief mit anderen Kindern um die Wette, warf Steine weiter als sie, war ihnen auch beim Schwimmen voraus und kletterte am höchsten auf einen Baum.

Alle nur möglichen Bewegungen verwandelte er in Sport und erfand Wettbewerbe, in deren Verlauf man sich messen konnte. Citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker) war nicht nur ein Motto der Olympischen Spiele, sondern auch die Devise, der sich der Sportfetischist mit Haut und Haar verschrieben hatte.

Waren gerade mal keine Konkurrenten zur Stelle, trat er gegen sich selbst an. Er gab sich mehrere Namen und startete einfach drauflos, mal geschickter, mal unbeholfener und gebremster.

Während er aktiv unterwegs war, kommentierte er seinen Sport wie ein Reporter, der aus jedem Wettbewerb eine spannende Geschichte machte.

„Peter K. leidet noch unter Prellungen am Fuss“, sagte er und schaute nach, ob er etwas in der Art einer Prellung an seinem rechten Fuss entdecken konnte. „Jürgen F. konnte in den letzten Wochen wegen einer starken Grippe nur wenig trainieren“, flüsterte er und schnupfte in ein Taschentuch, bevor er Jürgen F. auf eine Laufbahn schickte.

Anregungen erhielt er durch Sportsendungen im Fernsehen, von denen er kaum eine ausließ. Beinahe jede animierte ihn, es den Athleten nach zu tun, nur bei riskanteren Sportarten passte er. Turmspringen kam nicht in Frage, Boxen auch nicht, einige Turnsportarten musste er vernachlässigen, weil er nicht die passenden Turngeräte auftreiben konnte.

Unter den Sportlern, die er bei Wettbewerben verfolgte, hatte er jedes Mal einen Favoriten. Er informierte sich über ihr Leben und wusste genau, wo und wann sie mit welchen Trainern und in welchen Vereinen den Sport entdeckt hatten.

Solche Informationen baute er in seine Kommentare ein, wenn er bestimmte Phasen von Wettbewerben im Fernsehen noch einmal nachspielte. Dann war er selbst Daniil Medvedev und gewann ein Match beinahe mühelos, das Medvedev kurz zuvor noch verloren hatte. Oder er war Thomas Müller und schoss das entscheidende Tor in einer wichtigen Partie, das Thomas Müller gerade eben nicht geschossen hatte.

Der Sportfetischist hat fest vor, irgendwann ein Buch über sein Sportlerdasein zu schreiben. Einen Titel hat er schon: „Mein Goldmedaillen-Leben“.