Tomaso zieht um

Die venezianische Geigerin liebt Violinstücke von Tomaso Albinoni über alles. „Er war Venezianer“, sagt sie, „von der Geburt bis zum Tod. Er hat in der Umgebung von San Trovaso gelebt und danach in der Umgebung von San Barnaba. Beides merkt man seinen Stücken an.“ – „Inwiefern?“ frage ich. – „San Trovaso-Stücke haben einen spritzigen, lebendigen und humorvollen Charakter. San Barnaba-Stücke sind ernster, gesetzer und meist sehr ruhig. Tomaso leitete nebenbei eine Gesangsschule. Auch das merkt man seinen Stücken an. Ich singe sie, bevor ich sie auf der Geige spiele. Das führt zu einer subtilen Klangdichte.“ – „Wirklich erstaunlich“, sage ich und bitte sie, mir einige Takte vorzusingen. Wir verlassen ihre venezianische Wohnung bei San Trovaso, und sie singt draußen, auf der Gasse, bei San Barnaba nur für mich. Danach fahren wir hinaus auf den Lido, und sie spielt vor der offenen Meereskulisse dieselbe Komposition auf der Violine. „Das zeichnen wir auf“, schlage ich vor, „und stellen es später ins Netz. Gesang und Violine, ineinander übergehend, die Verbindung von Perle und Kristall.“ – „Eine fabelhafte Idee“, antwortet sie, „das hätte auch einem Venezianer einfallen können.“ – „Nicht wahr?“ entgegne ich, „aber kein Wunder, schließlich habe ich lange in der Umgebung des Rialto gelebt.“