(Am 15.8.2022 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)
Wenn ich Robert Habeck im Fernsehen sehe, schaue ich oft aufmerksamer hin als sonst und mache mich auf etwas gefasst. Fernsehen ist ja leider ein Medium der steten Wiederholung. Das hat, wenn man seine Nutzung übertreibt, etwas gnadenlos Einschläferndes. Was gerade noch als brandneue Nachricht gemeldet wurde, ist während des Tages schon xmal gemeldet worden und wird anschließend noch in direkter Rede von jenen Personen verkündet und umständlich ausgelegt, die zielsicher „von etwas ausgehen“.
Habeck durchbricht diese monotone Aneinanderreihung von Statements besonders dann, wenn ihn gleich mehrere Mikrofone irgendwo auf dem Feld oder der Heide stellen und ihm eine Erklärung abnötigen. Er schaut zunächst etwas zur Seite und verweigert den Blick in die Kamera. „Leute“, will er damit sagen, „mir ist das alles etwas unangenehm, der Ort, die Fragen und ich selbst, ich würde jetzt auch lieber etwas anderes tun und etwas lockerer daherkommen.“ Die Gegenwart mit ihren endlosen Krisen erlaubt so etwas aber nicht, schon eine zu lockere Kleidung nehmen manche ihm übel und kritteln an seinen locker sitzenden T-Shirts herum, die eines Ministers nicht würdig seien.
Robert Habeck gibt aber den Minister nur in offiziellen Reden, dann können wir sehen, dass ihm Krawatten ausgesprochen fremd sind und er sie so trägt, als habe er sie einen Tag zuvor in einem Online-Shop etwas zu hastig bestellt. Immer mehr gerät in Vergessenheit, dass er von Beruf einmal Schriftsteller war. Früher haben sich Feuilletons über solche schriftstellernden Politiker, von denen es in Frankreich zahllose gibt, mit Vorliebe hergemacht und ihre Politik als Praxis ihres Schreibens elegant gedeutet. Dieser Aspekt interessiert seltsamerweise im Fall von Habeck nicht, was daran liegt, dass er den Schriftsteller Stück für Stück unsichtbar gemacht hat.
Wird er von vielen Mikrofonen gestellt und zu direkter Rede aufgefordert, schimmert der Schriftsteller jedoch durch – und genau das macht mich hellwach. Habeck gibt dann nicht den Minister, sondern den Bürgermeister einer übersichtlich großen Kleinstadt, in der er fast jeden kennt. „Leute“, fängt er an, „es ist nicht einfach, und ich muss etwas ausholen. Ich versuche, die Lage zu erklären, das Für und Wider, alles, was mir einfällt, in freier Rede.“ Man sieht, wie er die Gedanken begrüßt, sortiert, zu kleinen Gewinden verkettet. Und man hört, wie er geradezu manisch versucht, das gängige Reden über ein bestimmtes Thema zu vermeiden und die Dinge so nahe und so direkt wie möglich mit dem Alltag seiner Bürgerschaft zu verbinden.
Solche Verlötungen sind Folgen eines schriftstellerischen Impulses. Habeck möchte anders, direkter und praxisnaher sprechen, deshalb lässt er keine Warmdusche aus und würde im Notfall noch bei den ihm Anvertrauten persönlich vorbeikommen, um nach dem Rechten zu sehen. „Alter“, hat er neulich gesagt und damit den Radius abgesteckt, in dem er gehört werden will, „Alter, das geht nicht mit mir, pass auf!“ In solchen Momenten rückt man als Fernsehzuschauer näher an Habeck heran, man erinnert sich, dass er fließend dänisch spricht und die dänischen Lebensmodelle einmal tief verinnerlicht hat. Er gibt dann eine dänische Variante des deutschen Politikerlebens, und wenn er wieder zur Seite in den freien Himmel schaut, ahnt man, dass er gerade dänisch denkt.
Etwas Philosophisches liegt dann in der Luft, eine Spur Sören Kierkegaard, ein Entweder – Oder oder ein Furcht und Zittern, Philosophische Brocken halt, die wie dunkle Blasen Habecks direkte Rede grundieren. Manchmal findet er dann nicht mehr zurück und verschwindet einfach in den nächstbesten Dünen. Dann hört man ihn seufzen: „Mann, Alter, dieses Politikerdasein hast Du Dir einmal anders vorgestellt, ganz anders.“