Dass literarisches Schreiben meist mit einem ersten Notieren von Ideen, Motiven, Räumen oder Figuren beginnt, kann man beim Blick auf viele Notiz- und Skizzenbücher großer Autorinnen und Autoren studieren. Solche Lektüren sind zugleich auch ideale Animationen für eigene Entwürfe, Projekte, Geschichten und Erzählungen.
In manchen Fällen haben sich die Notate sogar verselbständigt und entwerfen (wie etwa im Falle der Notizbücher von Francis Ponge, Peter K. Wehrli, Peter Handke und vielen anderen) einen eigenen, geschlossen erscheinenden Denk- und Beobachtungszusammenhang.
Genial erscheinen mir die Notate, die der amerikanische Schriftsteller Francis Scott Fitzgerald (1896-1940) in den Goldenen Zwanziger Jahren gesammelt hat, als er einer der bekanntesten Romanautoren Amerikas war. Viele Jahre hielt er in seinen Notebooks alle besonderen Erlebnismomente fest, die er für erzählenswert hielt, schöne Momente, Momente der Schönheit!
Was auch immer ihm auffiel und begegnete, wurde in einer brillanten Notattechnik für die weitere Verwendung in Romanen skizziert. Atmosphären, Stimmungen, Personen, Dialoge des Jazz-Age erscheinen gefiltert in einer Wunderkammer des genauen Sehens und Empfindens.
Um diese schönen Momente jederzeit an passenden Stellen einsetzen zu können, sammelte er sie gezielt in Listen, die nach Themen geordnet waren. Fitzgeralds Notate übertreffen daher das einfache, Lebensprozesse begleitende Notieren. Sie sind mehr (und deshalb „genial“), weil sie den jeweiligen Moment erspüren und abtasten, in dem sich bereits eine ganze Geschichte oder Erzählung meldet.
Sie klopft gleichsam an – und dieses Anklopfen fixiert Fitzgerald in stilistisch bereits „literarisch“ anmutenden Sätzen, die etwas Schwingendes, Vibrierendes haben und einen als Leserin/Leser sofort an eine mögliche Fortsetzung denken lassen.
In diesem Buch liegt die rare, virtuos wirkende Werkstatt Fitzgeralds, der in unseren Tagen nach den Verfilmungen von Romanen wie Der große Gatsby und Der letzte Tycoon wieder weltweit gefeiert wird, nun endlich auch auf Deutsch vor.
Helmut Moysich hat die Notebooks zum ersten Mal übersetzt und die immensen Probleme einer möglichst kongenialen Übersetzung federleicht gelöst. In seiner Übersetzung lodert das voyeuristische Beobachtungsfeuer Fitzgeralds nämlich so hell, dass man einen Deutsch schreibenden Autor zu lesen glaubt. Fabelhaft! Ein Deutsch, das jede Steifheit und Dürre verloren hat und einen zum Komplizen Fitzgeralds macht!
Diese Notebooks gehören daher zu den besten Wegweisern: wie literarisch weiterzuschreiben wäre…
Francis Scott Fitzgerald: Der Moment der Schönheit. Aus den Notebooks. Übersetzt von Helmut Moysich. Mit einem einleitenden Essay von Hanns-Josef Ortheil. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Mainz 2022