Sommerliche Reisen zu den Schreibwelten

Alex Johnson stellt in seinem Buch Schreibwelten (aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer, mit Illustrationen von James Oses, wbg Theiss) Denk- und Arbeitsräume von fünfzig Autorinnen und Autoren aus aller Welt vor. In einigen Fällen geht er Jahrhunderte zurück, aber auch die Gegenwart ist reich vertreten.

Auf die Zeit kommt es nicht an, die untersuchten Objekte scheinen einem Geheimbund anzugehören, der sich auf sehr ähnliche Riten und Bekenntnisse verständigt hat. Wie werden die Schreibräume eingerichtet, wie lange hält man sich in ihnen auf und welche Rituale halten und prägen das meist tägliche, mehrstündige Schreiben? – das sind einige der leitenden Fragen.

Erstaunlich ist, dass die skizzierten Schreibprozesse sich ähneln. Viele beginnen morgens früh, verlaufen konzentriert einige Stunden bis zum späten Mittag und werden dann von gegenläufigen Aktionen abgelöst: Spaziergehen, Lektüren, Abwechslungen, die aber keine allzu starke Dominanz entfalten dürfen.

Auffällig ist auch, dass Schreibprozesse einem oft strengen, inneren Diktat unterliegen, das alle störenden Faktoren fernzuhalten versucht. Schreiben ist fast immer ein unbedingter Rückzug auf das Gespräch mit sich selbst, und die Welten, die ihn begleiten, haben etwas Monotones und nur in den seltensten Fällen etwas Glanzvolles.

Narkotika spielen eine geringe Rolle, wohingegen die Schreibmaterialien und das Schreibwerkzeug nicht selten so sehr verehrt werden, als wären sie lebendige Wesen, die den Körper der Schreibenden um zusätzliche Attribute verlängern.

Die meisten Autorinnen und Autoren haben eine geradezu manische Passion, sie werden ungeduldig und unleidlich, wenn eine Unterbrechung des Schreibens droht. Kaum ist ein Werk beendet, beginnen sie mit dem nächsten, das ununterbrochene Sitzen scheint etwas höchst Reizvolles zu haben, obwohl sie gerade davon nur selten berichten. Stattdessen bleiben sie verschwiegen und starren unentwegt auf den geschützten Raum ihrer Geheimnisse, zu dem sie keinen Zutritt erlauben.

Sie wollen ganz und gar für sich bleiben, und wenn sie über ihre Schreibwelten sprechen, ergehen sie sich in Andeutungen oder flüchten zu rührenden Empfehlungen, die ihnen nur sehr Naive und Gutgläubige abnehmen werden.

Die überall durchschimmernde Wahrheit über das Schreiben ist nämlich eine harte, sie besteht aus Unterwerfung und Gefangenschaft, und sie ist so rein gar nichts für Menschen, denen das gesellige Leben mit seinen sozialen Gemütskontakten viel bedeutet.

Mit Romantik hat das alles überhaupt nichts zu tun, die Autorinnen und Autoren dieses Buches verstecken sich in ihren Hütten und Kammern, sie leben geräuschlos und vertragen keine Geräusche, und wenn sich andere Wesen nähern, sollten diese Eindringlinge sich hüten, irgendeine Rolle in den einsamen Welten spielen zu wollen, niemand wird sie darum bitten.

Allein zu sein – das ist die Kunst, nichts mehr und nichts weniger, nur: vollkommen allein sein können, von der ersten bis zur letzten Zeile, unabgelenkt, einem intensiven Austausch mit der Sprache verpflichtet.

Im Anhang des Buches finden sich „Besucherinformationen“, die jetzt, in der Sommerzeit, zu sommerlichen Reisen verführen. Hier sind all jene Schreibwelten aufgelistet und empfohlen, die für die Heutigen einen Besuch ermöglichen. Als Museum, als literarisches Zentrum oder als landschaftlicher Raum, der zum Schreiben inspirierte. Man könnte das Maison de Balzac in Paris aufsuchen oder Hemingways Finca auf Kuba, oder man könnte (gewagter Fall!) ein Zeitfenster von zwei Stunden im Haus von Emily Dickinson in Amherst, Massachussetts, vereinbaren, wo man mit den nachlebenden Geistern der Dichterin allein ist – ganz allein und hoffentlich nicht sprachlos.