Einer der schönsten großen Paläste Venedigs am Canal Grande (Ca`Rezzonico) ist während langer Schließung restauriert worden und seit einigen Monaten wieder geöffnet. In ihm findet man das Urbild (oder die Ikone) der Filmfestspiele: Novo Mondo von Giandomenico Tiepolo. Entstanden ist das über fünf Meter breite Fresko um 1791, vor dem Untergang der alten Republik, deren Sitten es noch einmal auf ungewöhnliche und brillante Weise porträtiert.
Die Szene spielt im Carneval. Eine eilig herbeigelaufene Menschenmenge drängt sich in fiebriger Erwartung, etwas Besonderes gezeigt zu bekommen, vor einem Zelt, in dem eine Laterna magica Bilder einer exotischen (neuen) Welt entwirft. Die verstreute Gesellschaft besteht aus Menschen aller Stände und wird von einem Mann, der die Reihenfolge der Zuschauer zu ordnen versucht, angewiesen, sich nacheinander in das Zelt zu begeben.
Kurios und ungewöhnlich ist, dass der Betrachter des Bildes die Gestalten nur von hinten zu sehen bekommt. Ihre Mimik und ihr Gebaren bleiben verborgen, wichtiger ist dem Maler, Giandomenico Tiepolo, der zusammen mit seinem Vater Giambattista am rechten Bildrand in der distanzierten Haltung eines Beobachters zu erkennen ist, die Darstellung einer Ekstase des Sehens, die durch die neuartigen Medien ausgelöst wird.
Sie sind die Boten der Zukunft, die Venedig von seiner großen Vergangenheit trennen und verabschieden, um jenem Bilderreiz Platz zu machen, der später auf dem Lido Venedigs große Paläste für das bildersüchtige Filmpublikum benötigt.
So ist Novo mondo zu einem der vielsagendsten (und reizvollsten) Gemälde der venezianischen Malerei geworden. Es rekapituliert die Geschichte einer jahrhundertealten Gesellschaft, die sich dem Sehen seit ihren Anfängen wie keine andere verschrieben und dafür eine „Stadt auf dem Wasser“ erfunden hat. Ihre Bauten spiegeln jene Illusionen, die sich in den Scheinarchitekturen der Deckengemälde im Innern der Paläste kunstvoll wiederholen.