Gespräche mit Hanna 2 – Venedig als Reiseziel

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, seit vielen Jahren arbeiten Hanna und ich zusammen. Sie organisiert Lesungen, ordnet die eingehende Post, bestellt Bücher, die ich im Blog vorstellen möchte, schlägt welche vor und unterhält sich mit mir über „Themen der Zeit“.

Sie ist in Köln geboren, wo sie auch einen großen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Irgendwann aber ist sie nach Stuttgart gezogen und hat an der HDM, der Hochschule der Medien, studiert.

Vor kurzem haben wir beschlossen, einige unserer Gespräche nicht für uns zu behalten, sondern in diesen Blog zu stellen. Nach einem ersten Gespräch über Pilze sprechen wir diesmal über „Venedig als Reiseziel“.

HB: Du bist gerade aus Venedig zurück. Fällt Dir die Gewöhnung an das deutsche Zuhause schwer?

HJO: Ja, die fällt mir wahrhaftig schwer. In Venedig zu wohnen, führt zu einer starken Intimität, die Abschiede haben etwas sehr Melancholisches, Trauriges, als trennte man sich von geliebten Menschen, die man nie mehr wiedersehen wird.

HB: Warum ist das im Fall von Venedig so?

HJO: Weil diese Stadt einen anders gefangen nimmt als andere Städte. Sie umschließt einen, man vergisst die Zeit und andere Orte oder Räume, man lebt nur noch in den sehr besonderen venezianischen Welten, das ist wohl so etwas wie Magie.

HB: Jetzt hat der Stadtrat beschlossen, eine Tagesgebühr von 5 Euro für jene Gäste zu erheben, die nur einen Tag bleiben. Das Stichwort heißt Overtourism. Selbst den Einheimischen ist der Tourismus inzwischen zu viel, sie wollen Entlastung.

HJO: Ich glaube nicht, dass fünf Euro abschreckend wirken. Wer Venedig unbedingt sehen will, zahlt bestimmt auch gerne fünf Euro. Das Problem steckt woanders. Man sollte erforschen, wie und wo sich die Touristenströme durch die Stadt bewegen. Es gibt Zonen, die sehr überfüllt sind, andere sind fast den ganzen Tag menschenleer. Und es gibt Zeiten, in denen kaum Gäste nach Venedig kommen, obwohl es ihnen in diesen Zeiten auf jeden Fall besser ginge als im Hochsommer, wenn die meisten in der Stadt unterwegs sind.

HB: Wodurch hat sich der Tourismus eigentlich so stark verändert? Es sind doch immer Menschen nach Venedig gefahren.

HJO: Ich denke, es gibt mehrere Gründe. Zum einen sind es die Billigflugangebote, zum anderen Angebote für Kreuzfahrttouren, die dazu verführen, „mal eben“ ein paar Schritte durch Venedig zu machen. Aber es gibt noch tiefer sitzende Veränderungen. Früher waren Städte durch ihre Sehenswürdigkeiten attraktiv, man fuhr mit einem Buch in der Hand hin und lernte sie durch einen Reiseführer kennen. Das war die typische Bildungsreise, die immer seltener geworden ist. Stattdessen gibt es heutzutage den digitalen Tourismus. Man läuft nicht mehr von Kirche zu Kirche oder von Museum zu Museum, sondern orientiert sich an den Angeboten, die einem im Netz rasch präsentiert werden. Ein Geschäft mit besonderen Accessoires, ein Restaurant mit besonderen Fischgerichten, ein Laden mit besonderen Mitbringseln, ein Shoppingcenter mit besonderer Kleidung. Aus den Sehenswürdigkeiten sind Hotspots der Waren und Attraktionen geworden, deren Erwerb den Kundinnen und Kunden schmeicheln. Hinzu kommen gerade im Fall von Venedig die fotografischen, digitalen Exzesse. Es gibt Touristen, die nahezu ununterbrochen fotografieren, keine Brücke, keine Straßenlaterne und erst recht keine Gondel ist vor ihnen sicher. Die Stadt überfällt einen mit Hinguckern, es gibt keine vergleichbare, die mit so vielen Bildern auftrumpft und zu Selfies einlädt.

HB: Du schlägst also vor, die Touristenströme zu entzerren, sie sowohl zeitlich wie auch räumlich zu kanalisieren, damit nicht alle immer dieselben Hotspots zu immer denselben Zeiten aufsuchen?

HJO: Ja – und noch mehr: Es gäbe eine große, pädagogische Aufgabe: Menschen auf ihren Venedig-Besuch vorzubereiten, damit sie auch wirklich etwas davon haben. Venedig ist eine sehr missverstandene Stadt. Viele lernen sie eher so kennen, wie es die bunten Bilder vorgemacht haben und halten sie dann für „morbide“ oder „romantisch“. Andere lernen die Einheimischen und ihren venezianischen Alltag überhaupt nicht kennen, als gäbe es nur schlecht singende Gondolieri oder arrogante Restaurantbesitzer. Venedig besteht aber aus vielen kleinen, für sich lebenden Parzellen und Inseln. Einige in Ruhe kennenzulernen, wäre ein guter Anfang. Die Umgebungen von San Marco meiden und stattdessen in einem der Sestieri am Rande wohnen und leben, in Castello zum Beispiel, dem Sestiere der Biennalen, über die wir noch gar nicht gesprochen haben. Es gibt eine Kunst-, eine Architektur-, eine Musik-, eine Tanz- und eine Filmbiennale – sie sind die Moderne Venedigs, die präsente Gegenwart der aktuellen Künste, der Widerpart zu ihren alten Gebäuden und Bildern.

HB: Du hast jetzt gerade die Filmbiennale erlebt, die auf dem Lido stattfand. Hast Du auch die laufende Architektur-Biennale besucht?

HJO: Ja, sie findet in den Giardini und im Arsenale statt. Da konnte man einen ganzen Tag in oft menschenleerem Gelände unterwegs sein.

HB: Im Ernst?

HJO: Im Ernst. Hier siehst Du einige Fotos der Ausstellungszonen des Arsenale.