Morgen ist auch noch ein Tag

Jetzt habe ich den italienischen Spielfilm Morgen ist auch noch ein Tag auf Anraten einer italienischen Freundin endlich gesehen – und was soll ich sagen? Ich werde ihn bald noch einmal sehen! Es ist jener Film, der mir seit langem am besten gefallen hat. Und warum?

Mehrere Momente spielen zusammen und machen aus ihm etwas Einzigartiges. Zunächst, dass Paola Cortellesi die Hauptdarstellerin, aber auch die Regisseurin und Co-Autorin ist. Diese seltene Konstellation ist in allen Szenen spürbar. Sie wirken frisch, authentisch, in einer fein abgestuften Balance zwischen Ernst und Humor so perfekt inszeniert, als seien es Szenen mitten aus dem Leben. Dann, dass der Film auf Farbe verzichtet und in Schwarz-Weiß gedreht wurde, was an italienische Filme der Nachkriegszeit erinnert. Drittens, dass er genau in dieser Zeit spielt, nämlich im Jahr 1946 und nicht zufällig auch in der Hauptstadt des italienischen Nachkriegsfilms, nämlich in Rom.

Es ist nicht das triumphale und mit seinen Prachtbauten auftrumpfende Rom, sondern ein Rom der Hinterhöfe, Durchgänge und dunklen Zonen, wo sich vor allem die weiblichen Parteien der Miethäuser vom Morgen bis in den Abend treffen. Sie zischen sich Sottisen und Frechheiten zu, wie sie schärfer und treffender kaum denkbar sind, so dass man auch die Dialogkunst Paola Cortellesis bewundert.

Sie spielt Delia, eine von ihrem Mann oft gedemütigte Frau und Mutter, die sich trotz aller Gewalt und dem Stumpfsinn, der von diesem Mann ausgeht, ihren Stolz und ihren Eigensinn bewahrt. Ab der ersten Szene hängt das Publikum an ihr und kommt ihr während des Films immer näher. Wie sie einen am Ende dann aber völlig unerwartet überrascht, gehört nun wiederum zum Besten, was man über den Plot sagen kann. Er geht nicht die erwarteten geraden Wege, sondern verblüfft sich selbst.

Geschickt lullt der Film einen geradezu hingebungsvoll und verschwenderisch ein, indem er Szenen des italienischen Alltags präsentiert, von denen einem viele vertraut vorkommen. Fühlt man sich dabei aber zu wohl, zieht einem Paola Cortellesi den Teppich unter den Füßen weg und lässt einen allein auf der Straße stehen.

Das alles hat genau das richtige Tempo, nicht übereilt, aber unmerklich rascher und entschiedener werdend, bis hin zur späten Erlösung von allem Unglück, einem nicht pathetisch, sondern konsequent entwickelten Fanal weiblicher Autonomie.

Während ich im Kino saß, glaubte ich mich zurückversetzt in die frühen siebziger Jahre, als ich selbst zum ersten Mal nach Rom kam. Herrgott, Du bist wieder zu Hause!, dachte ich und fühlte mich in genau solche Szenen gebeamt, wie ich sie in den römischen Straßen nahe der Via Bergamo und dem Markt  der Via Alessandria als junger Mann erlebt hatte. Damals war ich von einer älteren Südtirolerin fast täglich zum Einkaufen geschickt worden und kam, ohne zunächst ein einziges Wort Italienisch zu sprechen, mit Hunderten von Menschen in Kontakt.

Ciao! hätte ich fast geflüstert und musste mich beherrschen. Der Film verzauberte durch die Wiederbelebung jener Szenen, deren Bilder noch immer in mir stecken. C’é ancora domani heißt er auf Italienisch – und, na klar, man sollte ihn unbedingt in der Originalversion (notfalls mit deutschen Untertiteln) sehen. Bitte sofort und mehrmals!!