Hanna: Guten Morgen, setzen wir unser Interview fort! Neuerdings bewegst Du Dich auf Instagram! Das hat mich verblüfft! Lange Zeit hast Du Dich gegen das Agieren in den sozialen Medien gesträubt und Dich als bekennender Blogger bezeichnet. Was ist da passiert?
HJO: Tja, plötzlich entstand die Lust, auch ein Medium wie Instagram für eine Testphase zu nutzen. Die stärkste Anregung ging wohl von dem Buch der Tage aus, das mir eine Freundin geschenkt hatte. Darin hat Patti Smith eine Sammlung ihrer Instagram-Posts veröffentlicht. In meinem Blog habe ich dieses Buch am 21. Juni 2023 vorgestellt. Patti Smith hat ihre Posts wie Aufzeichnungen eines Tagebuches behandelt und ihnen dadurch eine literarische Note gegeben. Das gefiel mir schon damals sehr.
Hanna: Du verbindest in Deinen Posts ein selbst gemachtes Foto mit einem Kurztext.
HJO: Ja, ich verschicke Postkarten an die Leserinnen und Leser. Bilder meiner Räume und Vorlieben, die ich kurz kommentiere. Das mache ich vorläufig täglich, so dass eine Art Reise durch meine Lebenswelten entsteht.
Hanna: Was wird denn getestet? Was verstehst Du darunter?
HJO: Zunächst mal teste ich mich selber. Welches Bild oder Foto aus Deinem täglichen Bildervorrat wählst Du aus? Welches hält eine Nuance des vergangenen Tages fest? Und zweitens teste ich den Geschmack der Community: Wie beurteilen sie die Bilder, welches mögen sie, welches weniger? Das ist sehr aufschlussreich.
Hanna: Inwiefern?
HJO: Weil sich da ein Geschmack artikuliert, der nicht mein eigener ist. Ich selbst mag zum Beispiel Bilder von manchen Speisen, die ich gegessen habe. So habe ich Fotos eines Spargel-Menüs gepostet – das kam aber nicht besonders gut an. Wenn ich dagegen einen alten Baum im Morgensonnenlicht vor dem Hintergrund einer ruhigen Grünfläche poste, steigt die Zustimmung. Das überrascht mich. Ich versuche, möglichst unterschiedliche Motive zu posten, sie sollen kein zusammenhängendes Bild ergeben, sondern wie die Aufzeichnungen des Blogs einen kunterbunten, abwechslungsreichen Charakter haben.
Hanna: Könntest Du Dir vorstellen, Deine Instagram-Posts wie Patti Smith in einem Buch zu veröffentlichen?
HJO: Nein, das würde ich nicht tun. Ich kann mir erklären, dass und warum Patti Smith dieses schöne Projekt verwirklicht hat. Sie ist eine bekannte, verehrte und hochgeschätzte Frau, an deren Leben manche Leserinnen und Leser gerne teilnehmen wollen. Ich aber habe nicht diesen Nimbus, niemand würde interessieren, ob ich Spargel oder Kichererbsen esse.
Hanna: Mich interessiert das schon – aber nicht aus primären, sondern eher aus sekundären Gründen. Bestimmt könntest Du nämlich etwas Interessantes zum Thema Spargel oder Kichererbsen sagen. Das hat mich schon oft erstaunt: Dass Du zu vielen Motiven oder Themen etwas sagst, worauf ich nie gekommen wäre. Du packst und gehst sie anders an.
HJO: Ich vermute, das ist eine Art französischer Reflex. Viele französischen Schriftsteller waren darin vorbildlich. Ich meine die großen Essayisten, die Motive und Themen aus einer radikalen Ich-Perspektive heraus angehen. Das kann man von Montaigne, dem ersten Essayisten, herleiten, und Roland Barthes ist der späte, unerreichte Meister dieses Wahrnehmens und Denkens.
Hanna: Haben Deine Instagram-Posts auch etwas davon?
HJO: Nein, sie sind davon unberührt. Meine Text-Kommentare sind Kurznachrichten mit einem anekdotischen Anteil.
Hanna: Wie lange wirst Du auf Instagram posten?
HJO: Keine Ahnung. Ich verbinde zum Glück ja nicht viel damit, es ist einfach eine sommerliche Abwechslung, ein Spiel, in das ich kaum Zeit investiere. Und es passt wirklich gut zu heißen Tagen. Das gefällt mir: Heiße Tage und posten, als würde die innere, überhitzte Flasche plop machen und für einen Moment aufspringen. Etwas Lebensgas entweicht, aber höchstens ein Hauch, eine Brise, nichts Fundamentales.
Hanna: Mir gefällt Dein Foto vom Fischrestaurant in der Stuttgarter Markthalle am besten. Man kann es lange anschauen und viel entdecken – das wären für mich Kriterien für ein gutes Bild. Aber denkst Du nicht daran, dass Du dort nicht mehr in Ruhe essen kannst, weil dort Menschen auftauchen werden, die das Foto gesehen haben?
HJO: Aber nein. Stalkerinnen oder Stalker sind mir nicht auf den Fersen, und außerdem verwende ich in Notfällen kleine Tricks, um unerkannt zu bleiben. Außerdem: Ich bin nicht Patti Smith, wirklich nicht.
Hanna: Die kleinen Tricks kenne ich, ja, ich weiß, was Du meinst. Aber das behalten wir nun wirklich für uns. Immerhin erhältst Du seit Deinen Instagram Posts nun auch rasche und direkte Reaktionen auf Deine Fotos und Texte. Das war und ist im Fall der Blogeinträge nicht der Fall.
HJO: Ehrlich gesagt, habe ich nie verstanden, wie man fast zweitausend Einträge zur Kenntnis nehmen kann, ohne sich auch nur einmal zu rühren. Ich habe das als Couch-Blogging verstanden. Reaktionslos, passiv – so etwas ist ein Graus.
Hanna: Du hast aber doch durchaus viele Mails erhalten. Es waren nur keine inhaltlichen Reaktionen auf Deine Einträge, sondern eher Fragmente von Lebensgeschichten der Leserinnen und Leser.
HJO: Ja, so war das. Und das ist auch etwas, natürlich, durchaus. Aber manchmal freut man sich auch einmal über ein kurzes, anerkennendes Kopfnicken. Ich denke noch immer, kaum jemand kann sich vorstellen, wie es jemand auf zweitausend Einträge bringt. Das ist kurios und einzigartig und könnte manchmal einen kurzen, zustimmenden Gruß wert sein. Oder?
Hanna: Ich grüße fast jeden Morgen zustimmend, das solltest Du nicht vergessen.